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SO WAREN: DIE KASSIERER, 19.11.2011 SCHWEINFURT/STATTBAHNHOF

Eine neue Kassierer-CD wird bei uns in der Redaktion gemeinhin nicht gerne rezensiert. „Och, nöö, lass’ mal, das soll ruhig jemand anderes machen!“ Jeder weiß, dass die Wattenscheider Urviecher um Sänger Wölfi technisch seit Jahren auf gleich bleibend sehr schlechtem Niveau musizieren und ihre Kernkompetenz eher bei flüssiger Nahrung liegt. Doch auch sie haben Publikum… in Hersbruck spielten sie einst sogar in der „Hirnwurst“, jetzt waren die Kassierer in Schweinfurt zu Gast und Wollrahm Handke war da, wo es an diesem Abend besonders wehtat. Im Moshpit. Wo es noch weh tat? In den Ohren versteht sich…
SO WAREN: DIE KASSIERER, 19.11.2011 SCHWEINFURT/STATTBAHNHOF
DIE KASSIERER, 19.11.2011 SCHWEINFURT/STATTBAHNHOF

Zum Glück war ab Mitternacht Tanzverbot  

Dem Konzert der Kassierer hallte ein Ruf wie Donnerhall voraus. Alle Grenzen des Verstands, des guten Geschmacks und des Anstands seien an diesem Abend außer Kraft gesetzt, hieß es. Und die Punkband aus dem Bochumer Ortsteil Wattenscheid hat alle Befürchtungen bei ihrem Konzert am Samstag im Schweinfurter Stattbahnhof sogar noch bei weitem übertroffen. Schon zwei Stunden vor dem Konzert war der Großteil des Publikums schon stark alkoholisiert und aufgeheizt. Das Rauchverbot war für einen Abend scheinbar außer Kraft gesetzt. Viele Fans hatten eine lange Wegstrecke zurückgelegt, um dabei zu sein. Aus Berlin ist sogar ein 12-köpfiger Fan-Club extra zu dem Schweinfurter Gastspiel angereist.

Im Vorprogramm bot zunächst Lokalmatador Hans Füsser mit Nikolaus-Kostüm und blauer Perücke eine gewohnt surreale Performance. Eine Viertelstunde nur Hans, E-Gitarre und Gebrüll. Der Mann, der schon als Hans’n’Roses, Hans Füsser Experience oder sogar unter dem Namen der Schweinfurt Punkband Scallwags aufgetreten ist, kam gut an bei der berauschten Menge.

Und dann kamen Wolfgang Wendland, Mitch Maestro, Volker Wendland und Nikolaj Hagemeister unter tosendem Applaus auf die Bühne. Die ersten Minuten schüttelte die Band erstmal nur Hände, man meinte, die Scorpions wären die Treppe hochgekommen. Schon nach den ersten Songs war klar: dieser Band werden völlig zu Recht Vorwürfe aller Art gemacht: Sexismus, Geschmacklosigkeit und null Schamgefühl. Mit Songs wie „Jeden Tag besoffen sein“, „Mein Glied ist zu groß“, „Sex mit dem Sozialarbeiter“ oder „Blumenkohl am Pillermann“ liegen die Kassierer permanent ganz weit unter der Gürtellinie. Es geht die ganze Zeit eigentlich nur um Alkoholkonsum und Sexualität. Dazu kommt noch die latent abstoßende Bühnenshow. Sänger Wolfgang „Wölfi“ Wendland präsentiert alle paar Songs der johlenden Menge sein Geschlechtsteil und preist seinen übergroßen Hodensack an. Der Mann, der schon als Kanzlerkandidat für die Anarchistische Pogo-Partei Deutschland (APPD) angetreten ist, kennt offensichtlich keine Grenzen. Wie durch ein Wunder hat es die Band aus Wattenscheid noch nicht auf den Index für jugendgefährdende Inhalte geschafft. Alle Indizierungsanträge wurden gerichtlich abgewiesen, weil die Texte als satirisch und ironisch angesehen und die Alben als Kunst eingestuft wurden.

Von großer Kunst ist im Stattbahnhof allerdings nichts zu sehen. Ein dicker Mann ohne Oberbekleidung, der sich die Texte nicht merken kann, liest stumpfe, prollige Songs vom Blatt ab. Dazu spielen seine Mitmusiker primitiven, eintönigen Punkrock ohne große Abwechslung. Noch viel schockierender als die Band ist allerdings ist das Publikum, das alle Texte lautstark mitgrölt und sich dazu in den Armen liegt: „Wir wollen Schnaps, wir wollen Bier, auf Arbeitsplätze scheißen wir!“ schallt es durch den Raum. Dazu stürmen immer wieder junge Männer aus dem Publikum die Bühne und lassen vor versammelter Mannschaft die Hose herunter.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Warum machen die das? Provokation? Exhibitionismus? Jugendlicher Leichtsinn? Im Gegensatz zu ihrem Publikum sind die Kassierer nach mehr als 25 Jahren Bandgeschichte aus der Pubertät längst heraus. Also muss die Begründung schlicht und einfach lauten: reine Gewinnmaximierung. Der Saal ist voll, viele Zuschauer tragen ein T-Shirt der Band und auch der Stattbahnhof verdient am Alkoholkonsum der Besucher gut an diesem Abend. Bei den Kassierern wird eben kräftig abkassiert. Nur mit Kultur hat dieses Konzert im Kulturhaus „Stattbahnhof“ herzlich wenig zu tun. Zum Glück war ab zwölf Totensonntag und damit galt ab Mitternacht gesetzliches Tanzverbot.

Wolfram Hanke