VAINSTREAM ROCKFEST, 09.06.2012,
MÜNSTER-HAVERKAMP
Eine Woche nach Rock im Park gibt es erstklassiges
Kontrastprogramm in Münster: das Vainstream Rockfest mit echten
Musikfans, kurzen Wegen, fairen Preisen und kaum spürbaren
Umbaupausen. Die zwei Bühnen stehen auf einem asphaltierten
Hinterhof irgendwo nahe der Halle Münsterland. Die Zahl der
besoffenen Hedonisten ist angenehm gering und die Quote an
brauchbaren Bands überdurchschnittlich hoch.
Wir starten ins Programm mit Smoke Blow, einer Old
School-Hardcore Band aus Kiel. Die Jungs um Sänger Jack Letten
geben vom ersten Moment an Vollgas. MC Straßenköter – der
zweite Mann am Mikrofon – humpelt sogar mit Krücke über die
Bühne. Für Smoke Blow ist es wohl einer der letzten Auftritte
überhaupt. Die Band hat nach 15 Jahren beschlossen, keine Alben
mehr zur veröffentlichen und nur Konzerte zu spielen „wenn sie
Lust darauf hat.“ Dementsprechend stehen die Shows dieses Jahr
unter dem Motto „The Last Tour On Earth“. Schade!
Auf der anderen Bühne geht’s gleich weiter mit den Mad
Caddies. Die Gute-Laune-Garanten aus Kalifornien gehören mit
ihren Ska- und Dixieland-Sounds zu den Exoten im
Teilnehmerfeld. Und deshalb ziehen sich die harten Jungs eher
zum Biertrinken zurück und der weibliche Teil des Publikums
lässt in den ersten Reihen das Tanzbein schwingen. Wir wundern
uns, wie viele großflächig tätowierte Mädels es inzwischen
gibt.
Im Anschluss folgen mit August Burns Red und Enter Shikari
zwei komplett überflüssige Bands. August Burns Red machen
kommerziell erfolgreichen Metalcore, brüllen wie am Spieß und
sehen selbst aus wie Milchbubis. Kein Wunder, die Jungs aus
Lancaster / Pennsylvania gelten als christlich inspirierte
Metalcore-Band und wollen mit Schreien junge Menschen bekehren.
Nein danke! Enter Shikari kommen aus St. Albans in England und
sind eine Mischung aus Hardcore und Techno. Die Band selbst
nennt ihren Stil Trancecore. Beim Publikum kommt die
Kombination aus Synthesizern, Metalgitarren und Gebrüll gut an.
Bei uns nicht.
Foto: Hanke
Zeit für was Vernünftiges: die California-Punk-Veteranen
Lagwagon! Seit über 20 Jahren sind Sänger Joey Cape & Co.
schon unterwegs und sie sind immer noch genauso gut wie am
ersten Tag. Leider gönnen sich die Metalcore-Fans nach den
erschöpfenden Darbietungen der beiden Vorgängerbands eine kurze
Verschnaufpause, deshalb ist es bei Lagwagon ein bisschen
leerer vor der Bühne. Egal, mehr Platz für uns! Das ändert sich
schnell wieder, als Mastodon aus Atlanta / Georgia übernehmen.
Die vier archaisch anmutenden Gestalten lassen ein gewaltiges
Gewitter aus schweren Gitarrenriffs, komplexen Rhythmen und
langen Instrumentalteils los. Völlig zurecht gelten Troy
Sanders, Brent Hinds, Bill Kelliher und Brann Dailor als
Zukunft des Metals. Einer Spielart, die sich eigentlich seit
Jahren im Kreis dreht!
Foto: Hanke
Bei Caliban und vor allem bei K.I.Z. gönnen wir uns mal eine
kleine Verschnaufpause und einen Blick auf die reichhaltige
Speisekarte. Dank der stilistischen Ausrichtung auf Punk und
Hardcore gibt es beim Vainstream unzählige Stände mit veganen,
politisch korrekten aber auch konservativen
Festival-Grundnahrungsmitteln. Mit den Broilers steigen wir
dann ins Finale des Festivals ein. Die Oi-Punkband aus
Düsseldorf hat schon seit Jahren den Underground-Status hinter
sich gelassen und kann auf viele textsichere Fans im Publikum
zählen. Ihnen wird vorausgesagt, irgendwann mal die Toten Hosen
zu beerben, wenn die mal in den Ruhestand gehen. Ich glaub ja
nicht dran! Egal, die Broilers machen gute Laune und das Wetter
hält, das ist die Hauptsache!
Auf der anderen Bühne geht’s dann weiter mit dem eigentlichen
Grund, warum viele zum Vainstream gekommen sind: Refused aus
Schweden. Mit ihrem Album „The Shape Of Punk To Come“ hat die
Band Geschichte geschrieben und sich 1998 nach nur sechs Jahren
viel zu früh aufgelöst. Sänger Dennis Lyxzen war danach mit
diversen Bands wie The (International) Noise Conspiracy oder
The Lost Patrol Band unterwegs. Aber nie war Dennis so gut wie
mit Refused. Das wird 14 Jahre nach dem Split deutlich. Die
kraftvollen Songs sind von zeitloser Schönheit und Wucht.
Refused erobern die Herzen des Publikums im Sturm und werden
vor allem für ihre Hymne „New Noise“ frenetisch abgefeiert.
Hoffentlich bleibt es nicht nur bei den bisher angekündigten
Reunion-Shows.
Fast zeitgleich mit dem ersten deutschen EM-Gruppenspiel gegen
Portugal starten dann The Gaslight Anthem aus New Jersey.
Nebenan gibt’s die Möglichkeit, auf einem großen Bildschirm
dabei zu sein, aber wir entscheiden uns für die Musik. Es zeigt
sich, dass die Klone von Bruce Springsteen genauso zäh sind,
wie die erste Hälfte des Vorrunden-Kicks. Eine völlig
überschätzte Band, die am Nachmittag viel besser aufgehoben
gewesen wäre.
Aber die Aufregung steigt und zwar nicht, weil das Spiel der
Deutschen besser wird, sondern weil mit Slayer der Top Act des
Festivals auf dem Programm steht. Schon bei der Enthüllung des
Backdrops gibt’s Jubel. Und als Tom Araya zu den Klängen von
„South Of Heaven“ ungewohnt fröhlich in die Menge winkt, gibt
es kein Halten mehr. Die Großmeister des Thrash Metal räumen
gnadenlos ab. Schlagzeuger Dave Lombardo befeuert die Menge mit
Double-Bass-Attacken und die beiden Gitarristen Kerry King und
Exodus-Saitenschwinger Gary Holt (vertritt den an einem
Spinnenbiss erkrankten Jeff Hanneman) sägen sich durch das
präzise Set. Selbst brandneue Songs wie „World Painted Blood“
klingen bei Slayer wie Klassiker. Sie bringen „Raining Blood“,
„Criminally Insane“ und „Angel Of Death“ und alle sind
glücklich und erschöpft.
Fast unbemerkt hat Mario Gomez das Siegtor gegen Portugal
geschossen und wir treten den Heimweg durch den deutschen
Party-Mob im Autokorso- / Public Viewing-Wahn an. Ein schöner
Abend!
Wolfram Hanke