KONZEPT-ZIRKUS-INDIE
BONAPARTE
THE RETURN OF STRAVINSKY WELLINGTON
STAATSTAKT / WARNER
Wird Zeit, dass auch Musiker den musikalischen Wanderzirkus
von Bonaparte endlich einmal kennenlernen. Bereits seit einer
Dekade pulverisiert der Schweizer Tobias Jundt mit seinem
Hofstaat aus bunt zusammengewürfelten Aktivisten vor allem die
Sehgewohnheiten neugieriger Zuschauer auf Livebühnen. Seine
Bekanntheit ergab sich anfangs aber durch heftige Unterstützung
von MTV, die derartige Ästhetikanarchisten dankbar annahmen.
Ihr Auftritt bei Rock im Park artete 2017 dann auch wieder in
einen Rave aus bunten Kostümen und epileptischer Bühnenshow
aus. Nach dem etwas ruhigeren neuen Album „The Return Of
Stravionsky Wellington“ war eigentlich zu erwarten, dass Jundt
und Co ihren Inszenierungs-Wahn etwas einschränken, doch wie
erfreulich, dass der Klan von Peter Pan nie erwachsen wird und
weiterhin mit Computer-Desktops auf dem Kopf Exorzismen
durchführt oder in Strumpfhose auf einem schwarzen
Schwan-Schlauchboot sich durch die Menge tragen lässt.
Verabschiedet wird sich irgendwann in einer Mischung aus
Klingonisch, Nadsat oder sonst was. Und die neue Scheibe? Eine
Band wie ein Neutrino. Wer behauptet, ein Bonaparte-Album
vorherzusehen, der lügt postfaktisch. Denn das einzige
berechenbare an Kaiser Jundt ist die Entropie. Auch für den
Fall, dass sie sich in der Formel zeigt, einem traditionellen
Songwriting-Muster zu folgen. Nach „Becks Sommer“ war zu
vermuten, dass Bonaparte nicht mehr mit Tuten, Blasen und
Staubsaugern um sich werfen. Doch der vorab veröffentlichte
Track „White Noize“, der mit dem meisterhaften Video ein Echo
in allen sozialen Netzwerken hinterließ, versprach weiterhin
staaten- und konfessionslose Narrenfreiheit, die zwar weniger
Carpe Noctem proklamiert, aber dafür ganz erwachsen Carpe
Vitam. Bei Musikkritikern fiel die neue Scheibe eher durch, ich
würde dem Künstler einfach die erwachsene Reife attestieren,
die man einfach hat, wenn man mittlerweile verheiratet ist und
die 5-jährige Tochter schon auf der Platte als kurzes
Intermezzo mitsingen darf. Live wird weiterhin Gas gegeben,
Kiss wären auch blöde gewesen, wenn sie ihre Masken dauerhaft
weggelassen hätten und auf Pyroproporz verzichtet hätten.
EF
7 von 9 Punkten