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10. ROCK HARD FESTIVAL, 25.-27.05.12, GELSENKIRCHEN,
AMPHITHEATER
Pünktlich zur 300. Ausgabe des Rock Hard feierte auch das dazu
gehörige Open Air ein Jubiläum: Bereits zum zehnten Mal machten
wir uns auf den Weg in den Ruhrpott, um bei Kaiserwetter drei
Tage lang Party zu feiern. Wie immer gab es ein ausgewogenes
Line-Up, das alle Sparten von Melodic Rock über Prog bis Death
Metal abdeckte und wieder einige Special Sets zu bieten hatte.
Besonderes Augenmerk lag dabei auf den Headlinern TURBONEGRO,
die ihren neuen Sänger im Gepäck hatten und die britische Death
Metal Walze BOLT THROWER, deren Liveauftritte äußerst rar sind.
Die Tatsache, dass das Amphitheater nur eine Bühne bietet,
sorgt dafür, dass bereits bei den Opening-Acts das weite Rund
mehr als gut gefüllt ist. Dies zeugt auch von der
Ernsthaftigkeit des Publikums, das offensichtlich – und so
sollte das ja auch sein – wegen der Mucke hier ist und nicht um
besoffene Kumpels mit Edding zu beschmieren. Der Sound ist bei
den meisten Bands gut, und die Sicht ist (zumindest von den
Steintribünen aus) garantiert erstklassig. Auch die
Organisation Vorort läuft wie geschmiert, wobei hier besonders
die Security gelobt werden muss, die mit einem Lächeln auch
noch die dicksten Kuttenträger über den Brecher hievt. Unterm
Strich – wie immer – ein äußerst entspanntes und sympathisches
Festival, das herrlich überschaubar ist und eher Cracks statt
Sauftouristen anzieht.
Die (meisten) Bands im Einzelnen:
Freitag: Die Deutschen DEATHFIST geben den
Anheizer und können mit herrlich altmodischem Speed/Thrash,
weiblichem Gesang und einem Kerry King Lookalike überzeugen.
Starker Einstieg! Sängerin JEX THOTH und ihre Sidekicks
genießen im Underground nahezu Kultstatus und konnten auch in
Nürnberg bereits begeistern. Nachmittags bei Sonnenschein mag
der psychedelische Doom allerdings nicht so recht zünden, zumal
man sich oftmals auf allzu ausgelatschten Pfaden bewegt.
Die Schweden RAM befördern uns danach zurück
in die glorreichen 80er und erfreuen uns mit unverfälschtem,
rohen Heavy Metal. Das Bandlogo sowie die Mucke erinnern an
Judas Priest, aber Sänger Oscar kommt noch hoch, ähem...
Danach ist erstmal Zeit für Geprügel, das die Brasilianer
KRISIUN gerne übernehmen. Die drei Brüder
lärmen immerhin seit 20 Jahren zusammen und haben sich
mittlerweile eine treue Fanbase erspielt. Death Metal as
Fuck!
Die norwegischen Senkrechtstarter KVELERTAK
haben es mit ihrem (immer noch aktuellen) Debüt geschafft,
Anhänger aller Stilrichtungen zu vereinen, und genau das
passiert auch hier und heute: Kuttenträger, Kids, Proggies und
Doomer bilden alle eine wogende, austickende Masse, die von der
Band vehement und ohne Verschnaufpause aufgepeitscht wird. Die
Jungs versprühen dermaßen viel Energie, dass die Vorstandschaft
der nahe gelegenen RWE blass vor Neid werden würde. Für die
beste Aktion des Tages sorgt Sänger Erlend, der seinen
Mikroständer in die Menge schmeißt und sofort hinterher
springt. Für mich die Band des Festivals!
Die Erwartungen waren hoch an den Freitags-Headliner
TURBONEGRO und viele Leute waren wegen ihnen
angereist, wovon viele „Turbojugend“ Kutten zeugten. Das
Theater war entsprechend gut gefüllt und an der Setlist und der
Mucke gab’s auch nichts auszusetzen. Als Schwachpunkt entpuppte
sich jedoch der neue Sänger Tony Sylvester, der mehr krächzte
und grölte anstatt zu singen. Nicht schlecht aber leider auch
nicht der erwartete Hammer.
Samstag: Was für ein Weckruf. DR.
LIVING DEAD! crossovern sich einmal quer durch das
Schaffen solcher Bands wie Suicidal Tendencies, D.R.I. und
Nuclear Assault und brettern ohne Verschnaufpause durch ihren
Set. Langsame Songs? Fehlanzeige!
MOTORJESUS aus Mönchengladbach bieten nicht
nur Rotzrock erster Klasse sondern auch einen äußerst
unterhaltsamen Frontmann, der sich die Sympathien der ersten
Reihen mit Dosenbier (stilecht aus der Aldi-Tüte gereicht)
„erschleicht“. Macht Laune!
PORTRAIT halten manche Leute für langweilig,
ich bin allerdings einigermaßen begeistert von der Melange
alter Maiden und Mercyful Fate Versatzstücke vermengt mit
okkultem Anstrich. Jung, hungrig und absolut überzeugend.
HELL konnten vor kurzem bereits im
Vorprogramm von Accept überzeugen, präsentieren sich heute aber
noch einen Tick besser. Der zackige NWOBHM kommt druckvoll aus
der PA und Sänger/Schauspieler Dave hat die Masse sehr gut im
Griff. Nicht nur hörens-, sondern auch sehr sehenswert, was die
alten Männer da abliefern.
Das Death Metal Urgestein UNLEASHED legt laut
Ohrenzeugen einen überzeugenden Gig auf die Bretter, auch wenn
allzu große Überraschungen in der Setlist ausblieben.
Bei den gut gelaunten Partythrashern TANKARD
tobt natürlich der Mob und Gerre und seine Jungs hämmern
Klassiker und neues Liedgut gleichermaßen enthusiastisch in die
Menge. Dass dabei literweise Bier fließt versteht sich von
selbst und auch der „King of Beers“, der auf einem Thron aus
Bierkästen auf der Bühne sitzt, passt gut ins Bild.
PSYCHOTIC WALTZ polarisieren wie immer.
Vielen ist der sphärische Prog zu abgeschraubt, andere haben
(besonders bei der Überballade „I Remember“) fast Tränen in den
Augen. F.M. aus F. resümiert: „Das ist mehr als Musik, da
könnte ich durchdrehen!“ Recht hat er.
BOLT THROWER spielen nicht jede Woche an
jeder Steckdose, deswegen waren nicht wenige wegen dem
britischen Flaggschiff angereist; folglich war das weite Rund
bis zum letzten Platz besetzt. Die Setlist wartete mit einigen
Überraschungen auf, leider war allerdings der Sound (zumindest
da, wo wir standen) ziemlich mies, was der Durchschlagskraft
einiges nahm. Und dass Sänger Karl Willetts offensichtlich
besoffen ist, macht’s irgendwie auch nicht besser. Schade, denn
eigentlich sind die Briten live unangreifbar.
Sonntag: Wir lassen uns von den Sachsen
ALPHA TIGER, die nicht nur optisch (die
Hosen!) in der NWOBHM und im US Metal daheim sind aufwecken.
Die Jungs muss man im Auge behalten, da kann noch einiges
kommen.
´77 frönen einer Mischung aus AC/DC und
Airbourne, passen damit ganz gut zu einem sonnigen Mittag,
locken mich damit jedoch nicht hinter der Hecke vor.
Schließt man bei HIGH SPIRITS die Augen,
fühlt man sich sofort in die 70er Jahre nach England
transportiert: Tygers Of Pan Tang, Praying Mantis – Bands, die
einem sofort in den Kopf schießen. Leider will die Optik so gar
nicht zur Mucke passen...
Die Retrorocker von GRAVEYARD sind seit ihrem
umjubelten Longplayer „Hisingen Blues“ in aller Munde und
können auch live vollends überzeugen. Der Gig beginnt etwas
schleppend, wird dann aber immer fordernder und gerät
schlussendlich zum totalen Triumphzug
Respekt für GIRLSCHOOL, die ihr Ding immer
noch durchziehen, und mehr als nur einen Klassiker in der
Setlist haben. Auf Dauer aber trotzdem ein wenig langweilig und
eindimensional.
Die Melodic Rocker MAGNUM – immerhin auch
schon 40 Jahre im Geschäft – bieten laut Zeugen einen klasse
Gig.
Viele waren gespannt auf die wieder vereinigten Kiske und
Hansen und UNISONIC enttäuschten wohl keinen
ihrer Anhänger. Den schwierigen Charakter Kiske muss man nicht
gut finden, aber spätestens bei „March of Time“, „Future World“
und „I Want Out“ liegen sich wieder alle in den Armen.
W.A.S.P. beenden die diesjährige Sause mit
einer Mischung aus guten Songs („Hellion“!), viel Blabla und
Mitsingspielchen, Gitarrenwichserei und einem gewohnt
arroganten Blackie Lawless. Irgendwie muss man ja 90 Minuten
voll bringen...
Jens Reinhold