Die kulturelle VerWüstung der Hauptstadt –
Stonerrockkunst in Berlin
Chapter One: Das Desertfest 2012
Es hat lange gedauert, aber im Jahr 2012 hat Berlin nun
endlich sein erstes, großes, staubtrockenes Musikfestival: Beim
Desertfest betritt vom 19. bis zum 21. April eine feine Auswahl
von Stoner-, Doom- und Psychedelic Bands die Bühnen. Nein,
„Kyuss Lives!“ sind nicht mit dabei, dafür aber Wino (ja, DER
Scott „Wino“ Weinrich). Auch für den Rest gilt: Man kennt sich
beim Vornamen, die Szene ist und bleibt überschaubar. Die
Headliner Orange Goblin, Motorpsycho und Colour Haze geben an
insgesamt drei Tagen die Bandbreite vor: Es wird den 70ern
genauso gehuldigt wie dem klassischen Stoner der 90er, die
Schnittmenge stimmt so oder so. Wer sich bei den Potsdamer
Newcomern Stonehenge die Portion psychedlische Ausschweifung
abgeholt hat, kann sich bei Amplifier auf souveräne Spielfreude
verlassen und bekommt mit den nicht mehr so bärtigen Red Fang
aus Portland dann definitiv die straightesten Männer des
Wüstenfestes zu hören.
Wenn man schon mal zusammen kommt, dann doch auch bitte
ausführlich. Neben den 28 Bands auf drei Bühnen im Festsaal
Kreuzberg und im Kulturhaus Astra, gibt es eine Kunstaustellung
und auch zwei Deutschland-Filpremieren. Die französische
Psychedelic DJane Shazzula liefert mit „Black Mass Rising“ laut
eigener Aussage bei Facebook einen mehr oder weniger
experimentellen Film. Der offzielle Trailer verspricht
musikalisch apokalyptische Visionen, ganz ohne vorherigen
Drogenskonsum. Muss man mögen. Wesentlich mehr Spiel, Spaß und
Schweiß bietet der Einblick in das Leben der Truckfighters. Die
drei Schweden gibt’s am Freitag auf der Bühne, die nackte
Wahrheit zur Band wird nebenan auf der Leinwand gezeigt. RCN
hat mit Filmemacher Joerg Steineck gesprochen, über die
Truckfighters, Musikdokus und worum es eigentlich geht.
Chapter Two: Truckfighters Fuzzomentary
Im Trailer zum Film lobt ein gewisser Josh Homme die Truckfighters über den grünen Klee. Zurecht.
Rauschen, hörbare Stille im schwedischen Ödland und dann ist
sie da: The Voice. Das was sie uns erzählt, diese Stimme, ist
irgendwo zwischen halbgaren Lebensfloskeln und der absoluten
Erkenntnis. In jedermanns Leben gibt es eine Geschichte, DIE
Geschichte. Manchmal ist die Sache aufregend und spannend,
manchmal nicht. Aber eigentlich, ist das ja auch
Definitionssache. Und das ist es auch schon.
The Voice ist niemand Geringerer als Chris Cockrell,
Gründungsmitglied von Kyuss. Das schwedische Ödland heißt
eigentlich Örebro und darf sich den Stempel „gitarrenverseucht“
aufdrücken. Die Stonerrockband Truckfighters ist neben den
Doomern Witchcraft die derzeit bemerkenswerteste Kapelle aus
dem Städtchen. Und da sind wir dann auch schon bei der Story,
DIE Story ist in diesem Fall die Geschichte von Mr. Ozo, Mr.
Dango und Mr. Pezo. Seit 2001 gibt es die Truckfighters, drei
Studioalben haben sie seitdem gemacht, ein paar hundert Shows
gespielt und 2011 gabs die erste US-Tour.
Klingt nach ner ordentlichen Bandgeschichte. Reicht auf jeden
Fall, um sich in der Szene einen Namen zu machen. Joerg
Steineck wollte die Truckfighters eigentlich für seine Desert
Rock Dokumentation Lo Sound Desert interviewen, aber dann hat
er ein eigenständiges Filmprojekt entwickelt und es mit
Christian Macijewski verwirklicht. Es ist nicht einfach eine
Banddoku geworden, es ist eine Fuzzomentary.
Die Grundlage ist das Leben von drei normalen Typen, die mehr
oder weniger normale Jobs haben, oder eben auch nicht. Sie
arbeiten, sie wechseln zwischendurch auch mal Windeln und
warten eigentlich nur auf eines: Endlich wieder auf der Bühne
zu stehen und dem Venue den Schweiß aus den Poren zu
spielen.
.rcn: Warum dieser Film?
Steineck: „Das frag ich mich auch. Ich hab
ihn angefangen. Als ich in San Diego Film studiert habe, meinte
mein Prof, dass es keinen Film gibt, der nur zur Hälfte fertig
ist. Das ist wahrscheinlich das Einzige, was ich da gelernt
habe, aber auch das Wichtigste. Ich wusste, das ist ne gute
Story, egal, ob das ein normaler Film wird, oder eine total
abgefahrene Sache. Natürlich hatte ich gehofft, auch Leute
anzusprechen, die nichts mit dem Genre zu tun haben. Klar,
laden ihn sich vor allem Truckfighters Fans runter, aber
inzwischen haben mir viele Leute gesagt, 'Hey, ich hab
den Film gesehen und hatte vorher überhaupt keinen Bezug zu der
Musik und zu so abgefuckten Typen!' Das find ich
gut.“
.rcn: So abgefuckt sind die doch aber gar
nicht...
Steineck: „Nein, aber bevor man den Film
sieht, denkt man sich ja was. Dazu gehört auch, dass man
Vorurteile hat. Man hört das Wort 'Stoner
Rock' und hat schon einen eigenen Plan, was da jetzt
kommt. Dass es dann um viel wichtigere, elementare und vor
allem zwischenmenschliche Dinge geht, ist den Leuten ja erstmal
nicht bewusst.“
.rcn: Warum diese Band?
Steineck: „Wir haben die Jungs gesehen, haben
ziemlich gut gefunden, was die so gemacht haben, fanden die
Musik interessant und als wir sie kennen gelernt haben, waren
die halt super. Wir hatten auch den gleichen Humor, was sehr
wichtig ist und haben uns darauf verständigt, dass wir von
unserer Seite aus machen können was wir wollen.“
.rcn: Die Truckfighters Fuzzomentary ist
nicht der erste Film über eine Band, aber einer der wenigen,
bei denen man schon nach fünf Minuten nur einen Gedanken hat:
„Ab zu den Jungs in den stinkenden, schweißnassen Club, Bier
her, los geht’s. Das Leben ist schön, weil es RocknRoll gibt.“
Ging es Euch bei der Arbeit am Film auch so?
Steineck: „Ja klar! Ich habe den Film sehr
oft alleine geschnitten, aber wenn wir zu zweit daran gesessen
sind, haben wir auch mal was getrunken und dann kam schon ab
und zu mal dieses Vorkonzertfeeling auf. Das hat sich dann auch
auf den Film übertragen. Das macht das ganze interessanter, ich
denke der Film geht gut rein.“
.rcn: Nicht nur das, man wird auch immer
wieder überrascht, vor allem was die Entwicklung der einzelnen
Bandmitglieder angeht.
Steineck: „Ich glaube, dass liegt vor allem
an deren Charakteren. Mr. Dango ist z.B. das absolute Gegenteil
von Mr. Pezo. Ich denke das hat man nicht so oft in Bands. Ne
Band ist ja wie ne Familie oder eine Beziehung, Leute, die sich
anziehen, kommen ja auch eher zusammen. Bei den Truckfighters
ist es so, dass sie ein Konzept haben, genau wissen was sie
wollen und wie ihre Musik und ihre nächste Platte aussehen
soll. Sie wissen auch, dass sie sich trotz aller
Verschiedenheit gegenseitig brauchen, um was auf die Beine zu
stellen. Nebenbei haben sie außerdem auch noch denselben völlig
obstrusen Humor.“
.rcn: Und den teilt ihr als Filmemacher
ebenfalls mit der Band, hast du ja schon erwähnt. Das sieht man
auch bei der Bandhistory als Fotocollage und so ne Monthy
Python artige Cut-Out-Animation.
Steineck: „Naja, man muss ja während des
Films auch irgendwann mal die Geschichte der Band erzählen, man
muss das alles einordnen. Wenn du die Band nur begleitest, dann
ist das eine Reportage, kein Dokumentarfilm. Eigentlich ist es
eine Fusion, ein Filmformat aus mehreren Elementen. Es war
schon geplant, dass wir hier etwas machen, was es so vorher
noch nicht gegeben hat. Insgesamt ist das aber ein ziemlich
punkartiger Film, den wir da zusammen geschraubt haben.“
Ein punkartiger Film, in dem die Band selbst von ihrem Leben
in Örebro erzählt, von Drogenproblemen, gesundem Essen, dem
großen Drummer Dilemma und dem spektakulären Breadfight beim
Toursupport für Fu Manchu und Valient Thorr (ja, es geht um
Brot, sehr hartes Brot). Die Kamera ist bei den Aufnahmen ihres
dritten Studioalbums Mania dabei und auch auf der Tour durch
Europa. Kurz vor Schluss gibt es einen Acid Trip mäßigen
Newsausblick auf die glorreiche Zukunft der Band, wie man ihn
sich dramatischer nicht wünschen könnte. Das Highlight für
alle, die zumindest musikalische Grundkenntnisse der Desert
Rock Szene haben, sind ohne Frage die Sequenzen mit Stonergröße
Josh Homme (u.a. Queens of the Stoneage, Kyuss) und Kollegen
wie Alfredo Hernández und Nick Oliveri. Sie erzählen von ihrer
Jugend (!) mit der Musik der Truckfighters und wie wichtig die
Band für die ganze Szene schon immer war. Bei Musik aus der
Wüste kann eben auch mal eine Fata Morgana auftauchen, es geht
nicht um die Wahrheit, sondern um die Story, DIE Story, und die
richtige Attitüde. Um es mit Josh Hommes' Worten zu
sagen: „Beatles - Schneedles, Rolling Stones - Rolling Bones,
Truckfighters - thats that good shit!“
Anika Wiesbeck
Trailer zum Fim:
www.youtube.com
Seite zum Film:
www.truckfightersfilm.de/
Seite zum Festival:
www.desertfest.de/