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Rock im Park 2018 // Sonntag, 03.06.2018
von Lea Biermann
Da mich nicht nur kleinere Festivals, sondern auch die frühen
Nachmittags-Slots bei Rock im Park in den vergangenen Jahren um
die ein oder andere erfrischende Neuentdeckung bereichert
haben, wage ich mich zumindest am letzten Tag schon zu früher
Stunde auf das Gelände. Yungblud stellt sich als relativ
poppig, an manchen Stellen hoppig, und vielleicht gar etwas
unbedeutend heraus, während Nothing More, die fast parallel auf
der Park-Stage spielen, mit melodiösem Alternative und Power
Metal-Vocals das Rad zwar nicht neu erfinden, aber durchaus
tolerabel sind. Eingestreute Shouts verdrängen die
gelegentliche Assoziation mit Michael Jackson auf Metal-Remix
oder sogar einigen letlive.-Momenten.
Straight weiter zu The Neighbourhood, die nicht nur bei
„Sweater Weather“ seelischen Beistand bieten, wenn die
Melancholie tragbar wird, sondern auch mein Tipp des Monats,
wenn Frau keinen Bock mehr hat auf James Blunt und The 1975 in
der Period Playlist. Mit „Prey“ vom 2015ener Klassiker „Wiped
Out!“ setzen sie schon einmal einen guten Anfang und nach ein,
zwei weiteren Songs verstehe ich endlich, dass es kein
Technikfehler ist, sondern The Neighbourhood einfach zu indie
sind für die Übertragungsbildschirme, die sie nur in
schwarz/weiß wiedergeben, ganz gemäß dem HTML-Color-Code und
gleichzeitig Namen des Debüts „#000000 & #FFFFFF“.
Medien-Sternchen Jesse Rutherford greift die Androgynität an
den Eiern und stolziert oberkörperfrei mit einer weißen Rose
aus dem Publikum über die Bühne, als gäbe es keine Headliner
nach ihnen.
Dass zwischen dem Auftritt der nicht mal britischen
Indie-Guilty-Pleasure und dem von „Ice Motherfucking T, Bitch!“
nur eine geringe Zeitspanne liegen, mag ein bisschen ironisch
sein, zugegebenermaßen. Denn Ice (Motherfucking) T beklagt
genau das, als ihn der „Pussy-Mosh-Pit“, der sich bei den
ersten zwei Songs, dem Slayer-Cover „Raining Blood/Postmortem“
und „Bowels Of The Devil“, gleich in Bewegung setzt, zu einem
Monolog über die Verweichlichung der Musikszene inspiriert.
Wenn ich mal groß bin, will ich auch einmal so ein
Aggressionspotenzial haben wie Ice-T. Und auch wenn sein
Auftreten durchaus manchmal karikiert wirkt, kauft man ihm mit
seinen 60 Jahren den Grimm ebenso ab wie vor 20 Jahren. Der
neue Basser Vincent Price steht ihm und Ernie C, also den
einzigen noch lebenden Gründungsmitgliedern, allerdings in
Sachen Aggressionen um nichts nach, wenn er zähnefletschend
einen Mikrofonständer nach dem anderen umwalzt. „There Goes The
Neighborhood“ erstreckt sich über gefühlt 10 Minuten, und
obwohl ich angenommen hatte, dass mir bei Body Count
Mallorca-Animateur-Gehabe erspart bliebe, lässt sich Ice-T
überraschenderweise darauf herab, die „Aaaaaahaaaaa“s bei „KKK“
für die Musikfernen im Publikum anzukündigen. Einen
unvergesslichen Moment in meiner persönlichen Vita bildet es
aber, als ich „Disorder“ zum ersten Mal bei einer BC-Show live
höre – ein Medley aus 3 Exploited-Songs, damals zusammen mit
Slayer für den legendären Judgement Night-Soundtrack
vertont.
Von der sonnengefluteten Park-Stage in die dunkle Arena, von
heiß zu… noch heißer, aber vor allem Heisskalt. Bevor die Band
die Bühne betritt, klingt bereits ein fetter A-Akkord an, und
aus magenta-rotem Nebel stieben die ersten Verse über die zwei
Protagonisten von „Bürgerliche Herkunft“, zwei Möhren, die
ebenfalls das erst vor wenigen Wochen erschienene neue Album
eröffnen. Mit „Nacht Ein“ und „Nicht anders gewollt“ schlägt
das neu formatierte Trio die Brücke zu den ersten zwei Alben,
bevor mit „Tapas und Merlot“ wieder etwas Ruhe in den Mosh
einkehrt und Sänger Mathias „Idylle“ damit ankündigt, dass nun
der richtige Moment gekommen sei, sich einen Joint anzuzünden,
falls man einen dabei habe. Auf dreist entgegengebrüllte
Forderungen nach „Hallo“ erwidert er nur, sie würden „Hallo“
gleich spielen, man solle sich gedulden. Sobald „Wie Sterne“
ausklingt, währenddessen viele Crowdsurfer, alle Gliedmaßen
ausgestreckt wie Sterne, über das Firmament der Menge schweben,
wird dem Volk das zugestanden, was es verlangt und „Hallo“
bricht in einem undurchdringbaren Mosh-Pit aus, der nicht
einmal von dem ekstatischen Song „Absorber“ getoppt wird,
welcher das pink illuminierte Schlusslicht bildet.
Parkway Drive hingegen setzen auf eine andere Form der
Stimmungsakquise. Als Fotografen werden wir vor Beginn noch
gewarnt, dass uns Pyro im Rammstein-Style erwarte. Mit
Übertreibungen wird an dieser Stelle nicht gegeizt, doch frage
ich mich, seit wann Parkway Drive Pyrotechnik und erhabene
Podeste für jeden einzelnen Klampfenspieler nötig haben, da die
Metalcore-Größen im März noch im AJZ in Chemnitz auf ihrer –
wenn auch schnell ausverkauften – Clubtour vor wenigen hundert
Menschen ganz andere Kaliber aufgefahren haben. Einräumen muss
man dennoch, dass sich die Australier selbst leicht demütig und
überrascht von der Menge der Menschen zeigen, besonders weil
immerhin Muse parallel auf der Centerstage spielen. Und selbst
als Mama McCall auf die Bühne tritt und den nächsten Song
ankündigt, wird man doch etwas nostalgisch.
Nostalgie ist auch das Etikett, welches auf Alexisonfire
zugeschneidert passt. Seit zehn ganzen Jahren haben sich die
Hardcore-Legenden nicht mehr in Europa blicken lassen und im
Rahmen dessen fällt es nicht schwer, den Begriff
‚Meilenstein-Moment‘ in den Mund zu nehmen. Mit „Young
Cardinals“ gelingt ein imposanter Aufmarsch und wenn auch
keiner der folgenden Songs so eine Dynamik im Publikum
hervorruft, so hinterlässt der Bassist eher zunehmend den
Eindruck, sein Ritalin vergessen zu haben. Epileppy, aber
happy, sagt meine Mutter immer, und mit diesem Wort zum Sonntag
findet das Festival auch einen mehr als guten Ausklang.