Tod Ashley
-King Of World-Punk
Tod Ashley gilt als Wanderer zwischen den Welten. Der frühere
Bassist und Sänger der New Yorker Noiseband Cop Shoot Cop hat
vor über sieben Jahren den Big Apple verlassen und treibt sich
seitdem in Ländern herum, auf die seine Regierung bevorzugt
Bomben wirft. Zum letzten Album „The Golden Hour“ hat Ashley
verschiedene Staaten im Mittleren Osten und Südostasien
besucht, hat sich mit einheimischen Musikern in Hotelzimmern
verbarrikadiert und die Festplatte seines Laptops mit Beats und
Melodien volllaufen lassen. Mit „International
Orange“ erscheint jetzt – fünf Jahre später –
am 24. August 2012 quasi die Fortsetzung des musikalischen
Trips auf dem Indielabel Noisolution. Und das neue
Firewater-Album ist mindestens genauso hervorragend wie sein
Vorgänger.
Wer jetzt denkt, Firewater ist eine anstrengende
Weltmusik-Combo, die ihre Zuhörer mit stundenlangen
Improvisationsorgien oder Trommelsolos nervt, der irrt. Die
Musik von Firewater klingt wie die tighten Soloalben des
unvergessenen Clash-Sängers Joe Strummer oder erinnert
stellenweise sogar an die entspannten Sonnenschein-Nummern der
kalifornischen Skapunk-Band Mad Caddies, die gekonnt Punkrock
und Dixieland kombinieren.
„Viele Bands spielen immer den gleichen Stiefel. Das langweilt
mich“, sagt Tod. „Ich möchte nicht nur in einer Skaband oder
nur in einer Punkband sein. Ich sehe mich in erster Linie als
Songwriter. Ich mag die Magie, die entsteht, wenn man
verschiedene Musikstile miteinander kombiniert, die eigentlich
nicht zusammen gehören. Für „Glitter Days“ zum Beispiel haben
wir ein Instrument verwendet, das normalerweise bei
türkischen Hochzeiten eingesetzt wird. Das wird nie in einem
Rocksong funktionieren, haben alle gesagt. Aber irgendwie haut
es doch hin.
Manchmal gehen diese Experimente natürlich auch schief, aber
wenn es funktioniert, ist es definitiv etwas Neues. Als wir
„The Golden Hour“ aufgenommen haben, habe ich zum Beispiel mit
einer Sufi-Band gespielt und der Groove klang exakt wie Johnny
Cash. Ich mag die Idee, Brücken zu schlagen.“ Angefangen hat
die Karriere von Tod Ashley an der Kunsthochschule in
Providence / Rhode Island. Dort hat er mit Jon Spencer (ja, der
von der Blues Explosion) die Band Shithouse gegründet, bis sich
die Wege der beiden wieder trennten. Tod zog nach New York und
startete mit zwei anderen Jungs die Noiseband Cop Shoot Cop,
die schnell die Balance zwischen infernalischem Krach und
eingängigen Rocksongs auslotete. Cop Shoot Cop bekam sogar
einen Vertrag beim Major-Label Interscope, zerbrach aber nach
vier Alben und einigen EPs im Winter 1995 an persönlichen
Differenzen.
Das war gleichzeitig die Geburtsstunde von Firewater, zu deren
Urbesetzung unter anderem Duane Denison (Jesus Lizard) oder
Yuval Gabay (Soul Coughing) gehörten. Und mit Firewater öffnete
Tod Ashley von Anfang an die Tür für fremdartig klingende Musik
und exotische Klänge: Klezmer, Zigeuner- oder Zirkusmusik. „In
New York geht man eine Straße hinunter und hört an jeder Ecke
Musik von verschiedenen Kontinenten. Südamerikanische Musik,
osteuropäische Klänge, amerikanischen Rock’n’Roll und so
weiter,“ erklärt Tod. „Ich habe alles geliebt und in meinem
Kopf vermischt. Warum sollte ich mich auf westliche Rockmusik
beschränken, wenn die ganze Welt voller unterschiedlicher
Melodien ist? Ich sauge alles in mich auf, was ich aufregend
finde.“
2005 geht Tod nach drei Firewater-Alben sogar noch einen
Schritt weiter. Er lagert seinen privaten Kram bei Freunden ein
und macht mit einem Laptop und ein paar Klamotten die Fliege.
„New York war einfach zu teuer geworden“, sagt er. „Vor dem
Börsencrash konnte man schon fühlen, dass bald eine Blase
platzen würde. Die Mieten sind unaufhörlich gestiegen, Künstler
und Musiker wurden dadurch aus der Stadt getrieben. Alles nur
wegen diesen geldgeilen Wall Street-Typen. Es ist überall das
Gleiche: Die reichen Leute wollen immer da sein, wo die coolen
Leute sind. Dann kommen sie, machen alles teurer und die coolen
Leute hauen ab. Es machte einfach keinen Spaß mehr. Alles war
total glatt und sauber geleckt. Es gab keinen Schmutz und keine
Aufregung mehr. Es war einfach langweilig in New York. Ich
wollte einen Platz finden, der so aufregend wie New York war,
als ich zum ersten Mal dahin kam.“
Tod war zuerst eine Weile in Südostasien, Indonesien,
Kambodscha, Thailand und Indien. In dieser Zeit entstand das
Album „The Golden Hour“, das Weltmusik-Klänge und klassischen
Punkrock perfekt vereinte. Die Hälfte der Songs hatte Tod noch
in New York geschrieben, die andere Hälfte ist unterwegs
entstanden. Und auch ein Großteil der Songs fürs aktuelle Album
„International Orange“ ist auf seiner ersten großen Reise
entstanden. „In die wirklich gefährlichen Länder habe ich es
noch nicht geschafft“, erzählt Tod. „Bislang bin ich nur für
eine Aufnahme-Session nach Pakistan gekommen. Ich war an der
afghanischen Grenze und wollte weiter ins Land reisen, aber
niemand wollte mich fahren. Kein Taxifahrer wollte mich nach
Kabul bringen. Diesen Plan musste ich erst einmal verschieben.
Außerdem hat mein Geld nicht gereicht. Also habe ich meine
Aufnahmen in Istanbul gemacht. Ich bin zwar sehr zufrieden mit
dem Ergebnis, trotzdem will das nächste Mal diese Reise
antreten.“
Seit zwei Jahren hat der Ex-New Yorker seinen festen Wohnsitz
in Istanbul. Gemeinsam mit Tamir Muskat – Mitglied der Balkan
Beat Box – hat er die 11 Songs von „International Orange“ dort
aufgenommen und später in Israel gemischt. Im Gegensatz zum
Vorgängeralbum hat Tod diesmal nur mit einem Perkussionisten
gearbeitet, dem Trommler Cosar Kamci von der türkischen Band
Baba Zula. „Istanbul ist eine interessante Stadt, die sogar
noch größer ist als New York City. Meine Freundin hat dort
beruflich einige Möglichkeiten. Ich habe 18 Jahre lang in New
York gelebt, aber als es mich nicht mehr inspiriert hat, bin
ich gegangen. Dann haben uns die Umstände nach Istanbul
verschlagen, weil meine Freundin dort Familie hat. Es gefällt
mir dort sehr gut: politisch und sozial verändert sich gerade
eine Menge. Ich mag das Essen und die Musik. Für mich ist es
einfach ein neuer Ort zum Entdecken. Und es gibt dort momentan
keine Kämpfe, bis auf ein paar kurdische Terroristen, die ab
und zu Bomben legen.“
Ernste Probleme als Amerikaner hat Tod selbst in streng
islamisch geprägten Ländern nie gehabt. Um sein Leben musste er
noch nicht fürchten. Selbst als ihm in Indien einmal eine
oberflächlich nette Familie Drogen ins Essen gemischt hatte, um
ihn auszurauben. Er konnte zum Glück entkommen. Die hielten ihn
wohl für einen dummen Touristen, sagt er im Nachhinein. Und
deshalb wird sein Trip auch weitergehen, denn er ist inzwischen
– wie er selbst sagt – zum Reise-Junkie geworden. „Was ich auf
jeden Fall auf meinen Reisen gelernt habe, ist: Wenn Du
gelangweilt bist, zieh einfach weiter an einen Ort, an dem auch
mal unerwartete Dinge passieren können. In Berlin wirst Du wohl
kaum früh um fünf Uhr von einer Kuh umgerannt. Das wird Dir
wohl eher in Indien passieren. Du stolperst durch Zufall in
eine Hochzeit oder gerätst auf einen Friedhof in Pakistan
voller Transvestiten und Sufi-Bands. Wenn Du wach und lebendig
bleiben willst, such Dir Orte, wo nicht jeden Tag das Gleiche
passiert.“
In seinem Inneren ist Tod immer noch der gleiche New Yorker
Punkrocker geblieben, der in seinen Songtexten kein Blatt vor
den Mund nimmt und seine Sicht auf die Welt konsequent mit
Zynismus und schwarzem Humor schildert. Der Song
„Ex-Millionaire Mambo“ zum Beispiel ist ein Song über den
Börsencrash von 2009. „Bei CNN habe ich ein Interview mit einem
Investment-Banker gesehen. Er hatte sein ganzes Geld verloren
und sich bitterlich beklagt, dass er jetzt seine Yacht
verkaufen muss. Das hat mich wirklich sehr berührt. In dem Song
wollte ich mich über genau solche Leute lustig machen. Sie
haben mich dazu gebracht, New York zu verlassen und verlieren
jetzt ihr letztes Hemd. Die Leute, die wirklich gelitten haben,
waren aber ganz einfache Mittelklasse-Leute, nicht solche
Typen.“
Neben den Umbrüchen in der Finanzwelt hat der sogenannte
„Arabische Frühling“ mit den Revolutionen in Ägypten, Libyen,
Syrien oder Tunesien „International Orange“ maßgeblich
beeinflusst. Denn obwohl Tod Ashley in der Türkei und Israel
nicht direkt im Auge des Orkans saß, war die Umbruchstimmung
auch in seiner Nachbarschaft deutlich zu spüren. „Ich selbst
war zwar nicht direkt in Kairo, aber ein befreundeter Fotograf
hat dort viele Aufnahmen gemacht. Als wir das Album in Israel
gemischt haben, waren wir nur wenige Kilometer von der Grenze
entfernt. Das war alles ziemlich aufregend, man hatte das
Gefühl Teil eines geschichtlichen Prozesses zu sein.“ Passend
dazu hat Tod das Album „International Orange“ getauft. Eine
Farbe, die nicht nur als Warnung gilt und traditionell von
buddhistischen Mönchen getragen wird, sondern auch in der
Ukraine vor acht Jahren als Erkennungszeichen der Revolution
eingesetzt wurde. „Außerdem habe ich in Istanbul eine Band aus
Teheran kennengelernt, die in ihrer Heimat keinen Alkohol
trinken darf. Deshalb füllen die Kids dort Orangen mit Wodka
und trinken mit einem Strohhalm daraus beim Autofahren. Das
fand ich gut!“
Jetzt muss Tod Asley erst einmal auf Tour gehen - im Oktober
unter anderem auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz -
damit sein Sparschwein sich in ein paar Monaten wieder prall
und wohlgenährt präsentiert. Denn die Abenteuerlust des
musikalischen Rädelsführers ist noch lange nicht gestillt. Und
beim nächsten Trip - so ist der Plan - soll auch ein Filmteam
dabei sein und alles dokumentieren. „Gefühlsmäßig bin ich immer
noch auf derselben Reise, obwohl ich einen längeren
Zwischenstopp in Istanbul eingelegt habe. Das soll nicht das
endgültige Ziel sein. Ich denke, die Reise wird weitergehen.
Ich bin nicht wild darauf in den Irak zu reisen, aber
Afghanistan interessiert mich sehr. Für die nächste Platte
könnte ich mir eine Zugreise durch Türkei, Iran und Afghanistan
vorstellen. Und danach könnte der nächste Trip nach Afrika
gehen. Ich habe einen Freund, der will mit dem Auto von Kairo
bis nach Kapstadt fahren.“ Na dann, gute Reise!
Wolfram Hanke
NEUIGKEITEN/AKTUELLES EINZELANSICHT
INTERVIEW MIT TOD ASHLEY (FIREWATER, EX-COP SHOOT COP)
Unser Szenemaulwurf Wolle hat mal wieder eine besonders lesenswerte Geschichte ausgegraben. Tod Ashley, seines Zeichens Bandkopf von Firewater erzählte viel aus seinem bewegten Musikerleben, die steil nach oben bis zum Majordeal bei Interscope führte und mittlerweile aus einem musikalischen Zigeunerleben überall auf der welt besteht. Er lebt gerade in Istanbul, hier seine Story.
Tod Asley