AN ALBATROSS / YIP YIP, NÜRNBERG, K4,
12.11.2008
Das Publikum wippt mit dem Kopf wie beim Jazz. Wut und Pogo
weit weg. Aber Grindcore ist ein Schlaflied gegen das, was bei
An Albatross „Nonstop musikalischer Orgasmus“ heißt. „Macht’s
euch bequem, Leute: Luv’n’Togetherness“. Von Kinn und Nase des
Schlagzeugers tropft Schweiß, aus dem Mund prustet Gischt.
Vornüber geneigt, zuckend hämmert der Gitarrist rasende
Stakkati in die Saiten, die Finger des Bassisten steppen hinter
seiner Matte komplexe Läufe ins Griffholz,
nähmaschinen-präzise. Mitten im
Psychedelic-Grindcore-Höllenlärm ruht der kurzhaarige Organist
auf seinen Akkorden. Eine Stunde später lächeln die
Philadelphier sich glückselig mit dem Publikum an,
schweißtriefend, der Hemden längst entledigt. Sänger Eddie
bittet umgehend um Wasser und liegt sich mit den Veranstaltern
vom K4 in den Armen. Der Energiefluss reibt die Schamanen auf
und labt die Zuhörer. Manchem im vollen Saal sind Edward B.
Gieda III und seine Shows bekannt. In Spandexhosen und mit
einem übergroßen Peace-Anhänger nebst Holzperlen im roten
Riesenhemds-Ausschnitt zieht er alle Schamanen-Register.
Gockelt mit dem Mikroständer, stemmt ihn empor, zuckt und
kreischt wie besessen, dreht sich, fällt zusammen, stolziert
über den Tresen, kauert am Wasserhahn und erhascht einen
Schluck, masturbiert mit dem Mikro. Einen Moment ist das
Kreischen verstehbar: „Freeeedommmmmm!!“ Entspannt, verzückt
steht das Publikum, johlt anerkennend, raunt „Wahn...sinn“.
Weil musikalisch viel passiert. Das explosive
Grind-Jazz-Experiment auf Speed ist stilistisch nicht
einzuordnen. Aber die Ausbrüche sind hochvirtuos, komplex und
minutiös durchkomponiert, haben Songstrukturen. Nie war
Freejazz explosiver, Grindcore besser gelaunt und Irrsinn
verzückender. Wie apokalyptische Post-Freaks haben An Albatross
dem Publikum Good Vibrations eingehämmert, mit einer
Eindringlichkeit, die Tote erreichen sollte und wie es scheint
in der Sprache der Zeit. Humorvoll auch die Vorband Yip-Yip.
Zwei Dada-Clowns in gewürfelten Kutten, Karos auf die Brillen
geklebt. Nihilistisch vergnügt prügeln sie Zirkuspolka hinter
höllenlautem Minimal-Rhythmus. Der eine bearbeitet mit einer
Hand Synthesizer, mit der anderen daran festgeschraubte,
eckig-gesägte Becken und galoppiert dazu lachend auf einem
imaginären Gaul, der andere bedient gleichzeitig Tasten und
Saxophon. In Schönbergsche Klänge platzt an unpassendster
Stelle Jahrmarktsorgel – ein rasanter absurder Spaß, keine
Tabus, viele Pointen. Sowas gibt’s eben im K4. Nennt es
musikalische Grenzerfahrung oder unkonventionelles
Kulturerlebnis, das Körper und Seele erfrischt. Grandios.
MW
