CROSSOVER FUNKJAZZROCKMETAL
LIVING COLOUR
SHADE
MEGAFORCE / H’ART
VÖ: 08.09.2017
Wer hätte das zu der Zeit als die – man darf das ruhig so
nennen – farbige US-Crossover Rockband Living Colour in den
späten 90ern ihren verkaufstechnischen Höhepunkt hatte,
gedacht, dass einmal Algorithmen im Internet den Musikgeschmack
der Konsumenten beeinflussen. Ich nenne es eher versauen. „Wer
Band A gut findet, könnte auch Band B gefallen“ ist die
Internet-Floskel, die den stilsicheren Tipp des Fachmanns an
der Plattentheke von früher heute ersetzt hat. Im Fall der
legendären Kultband, die besetzt mit exzellenten Musikern,
schon immer eine abgepfiffene Melange aus Jazzrock, progressive
Metal, Funk und Blues verarbeitete, scheitert jeder moderne
Algorithmus. Acht Jahre nach ihrem letzten Album fordern sie
erneut den Zuhörer, strapazieren die Wortfantasie der
Rezensenten und entzücken Musiker. Zumal Mitgründer und
Flexi-Gitarrist Vernon Reid und Bass-Koryphäe Doug Wimbish auf
der akzentuierten und druckvollen Produktion mal wieder alle
Gäule zur Stampede los lassen. Seite der letzten Scheibe gingen
nun einige Jahre ins Land. Der Zündfunke für die Platte war,
als die Band einen Robert Johnson Track als Metalsong live
performten und das Publikum steil ging. Man beschloss, den
Blues als Grundstein zu nehmen und vielschichtig zu bearbeiten.
Letztlich wurde er auf dem fertigen Album eher dekonstruiert.
Und wenn jemand die rote Linie auf dem Album vermisst, kann ich
entgegnen, dass Living Colour noch nie eine hatten und der
Bandname eher für eine stilistische Lavalampe steht, als für
einen drögen weißen Spot mit geradlinigem Lichtkegel. Ihre
Musik ist also alles andere als geradlinig und vorhersehbar.
Bei jedem Durchlauf erkennt man neue Details. Ungeübte Hörer
mögen vielleicht von der Vielfalt der Stilmittel überfordert
sein, Querdenker aber freuen sich über das Kunststück,
Rapmetal, Dubstep, Heavy Jazz, Crossover und Heavy Bluesrock zu
einem Album zu verarbeiten. Für den einen eine musikalische
Messi-Wohnung, für den anderen der cleverste tonale
Schaltkreis, der gerade zu haben ist. Einfach kann schließlich
jeder...
EF
7 von 9 Punkten