SIMEON SOUL CHARGER
- Liebe auf den ersten Blick
Die Geschichte vom Tellerwäscher, der sich zum Millionär
hocharbeitet, funktioniert im Rockbusiness normalerweise so,
dass eine Band aus der Provinz den Erfolg in einer großen
Metropole sucht und findet – vorzugsweise in den USA oder in
England. Dass eine amerikanische Rockband nach Deutschland
übersiedelt, um Karriere zu machen, ist eher selten. Deshalb
ist die Geschichte von Simeon Soul Charger, einer Psychedelic
Rock Band aus Akron / Ohio umso bemerkenswerter. Die vier Jungs
leben seit März 2011 auf einem Bauernhof in Nandlstadt im
oberbayerischen Landkreis Freising. Nandlstadt gilt als
ältester Hopfenanbauort der Welt und hat nur knapp 5.000
Einwohner in 38 Gemeindeteilen. Der einzige berühmte Mensch,
der laut Wikipedia jemals aus Nandlstadt kam, ist der
Fußballprofi Sepp Weiß, der in den Siebzigern mit dem FC Bayern
zweimal den Europapokal der Landesmeister gewonnen hat.
2010 kam es in New York City zur schicksalhaften ersten
Begegnung zwischen Simeon Soul Charger und Bernd Buchberger -
dem bayerischen Manager der Band. Die Band beendete gerade ihre
erste größere Tour durch die Staaten und erwischte einen
rabenschwarzen Abend. „Es war wie ein „Gig From Hell“ - alles
ging schief“, erzählt Sänger und Gitarrist Aaron Brooks. „Der
Mischer hatte Probleme, wir waren eine halbe Stunde zu spät
dran. Wir hatten an diesem Tag noch einen anderen Gig in einem
anderen Club, dort hatte ich meine Gitarre vergessen. Also
musste ich mir eine andere Gitarre leihen. Aber Bernd und
seiner Cousine Helga hat die Show so gut gefallen, dass sie am
nächsten Tag gleich wieder gekommen sind. Dafür haben sie sogar
ihren Rückflug verschoben. Und als sie zuhause waren, haben sie
uns sofort kontaktiert und vorschlagen, dass wir unbedingt nach
Bayern kommen müssen.
Das klang sehr schön, aber nicht besonders realistisch, um
ehrlich zu sein. Aber Bernd hat alle Bedenken zerstreut und uns
überzeugt.“ Der frischgebackene Manager machte die Kohle für
die Flüge locker und organisierte aus dem Nichts eine
zweiwöchige Tour rund um den Landkreis Freising. Die Band war
begeistert. „Es lief richtig gut“, bestätigt Aaron. „Deshalb
sind wir zurückgekommen. Zuerst waren drei Monate geplant und
jetzt ist es schon mehr als ein Jahr geworden und wir haben
schon Konzerte bis in den Herbst hinein gebucht.“ Manager Bernd
Buchberger kommt eigentlich gar nicht aus dem Musikbusiness und
ist in erster Linie Fan. Sein Geld verdient er als
Werbegrafiker und der Job als Manager für eine Psychedelic Rock
Band aus Ohio kam wie aus heiterem Himmel. „Das war eine ganz
spontane Entscheidung, weil mir vorstellen konnte, dass die
Band hervorragend in Deutschland funktioniert“, erklärt Bernd.
„Ich war schon vom ersten Stück an begeistert. Als wir aus den
Staaten zurück gekommen sind, haben wir unseren Freunden den
Plan geschildert. Und alle haben uns für verrückt erklärt, weil
ich so schnell wie möglich diese kleine Testtour in Deutschland
machen wollte. Dann hat uns meine liebe Tante Gretl für zwei
Wochen ihr Haus zur Verfügung gestellt. Und als wir 2011
entschieden haben, die Band für ein ganzes Jahr zu holen, haben
wir ein großes Bauernhaus in Nandlstadt mitten in der Hallertau
gefunden.
Dort hat die ARD schon den TV-Zweiteiler „Der kalte Himmel“ mit Christine
Neubauer gedreht, aber das Filmteam hatte alle
Wasserleitungen und Stromleitungen gekappt. Das musste alles
neu verlegt werden. Dann hat unser ganzer Freundeskreis
zusammengeholfen und in vier Monaten das Haus bewohnbar
gemacht. Und da wohnen die Jungs jetzt.“ Es klingt ein bisschen
wie „Sommer in Orange“, die Komödie von Regisseur Marcus H.
Rosenmüller (Wer früher stirbt ist länger tot) über eine Gruppe
Berliner Bhagwan-Jünger, die sich in den Achtzigern in der
oberbayerischen Provinz niederlässt. „Wir fühlen uns in
Nandlstadt sehr wohl,“ schildert Aaron die Umstellung aufs
Leben in der bayerischen Idylle. „Klar mussten wir uns erst mal
an die neuen Bedingungen anpassen. Wir müssen uns um die Wärme
im Haus selbst kümmern und können nicht einfach die Heizung
aufdrehen. Und im Winter waren die Wasserrohre zweimal
eingefroren, also mussten wir uns Wasser in Flaschen abfüllen,
bis wir die Rohre wieder auftauen konnten.
Aber trotz aller primitiven Lebensumstände ist die
Lebensqualität ist sehr hoch. Und wir haben gelernt, wie in
einer Kommune zu leben. In diesem Haus müssen wir zusammen
arbeiten.“ Entgegen aller Klischees über bayerische Landeier
wurden die Amis in Nandlstadt überaus freundlich aufgenommen.
Obwohl es zwischen den Bayern und der Band noch die eine oder
andere Sprachbarriere gibt, schwärmen Simeon Soul Charger von
ihren neuen Nachbarn. „Wir wurden überall freundlich empfangen
und bewirtet. Sie bringen und Kaffee und Kuchen und es wirkt
alles sehr natürlich. Natürlich war es anfangs ein bisschen
komisch, als wir ums Eck in den Supermarkt gegangen sind und
uns kaum verständigen konnten. Und manchmal wird man schon ein
bisschen verwundert angeschaut und es gibt natürlich Gerüchte
im Dorf über uns. Einer hat uns mal erzählt, dass man sich
erzählt, wir würden in der Öffentlichkeit Drogen konsumieren.
Dabei wurden wir wohl nur dabei beobachtet, wie wir unsere
Zigaretten selbst gedreht haben. Deshalb haben wohl einige
gedacht, wir würden Joints in der Hauptstraße rauchen.“
Kein Wunder, Bassist Spider trägt Dreadlocks bis fast in die
Kniekehle, Schlagzeuger Joe einen Bart wie Rasputin und
Gitarrist Rick sieht aus wie ein Hippie mit Schlapphut und
Schlaghosen. „Kurz bevor wir die Staaten verlassen haben, haben
wir eine ausverkaufte Album-Release-Show gespielt“, sagt Aaron.
„Dort haben wir eine große Fanbase. Wir selbst dachten, dass
wir nur ein paar Monate bleiben würden, deshalb haben wir uns
verabschiedet mit den Worten: Wir sehen uns, wenn wir zurück
sind! Und allmählich melden sich immer mehr Fans auf unsere
Website und fragen, wann wir wieder zurück kommen. Und wir
wollen unsere Fans in Amerika natürlich nicht im Stich lassen,
aber jetzt läuft es in Deutschland gerade sehr gut, deshalb
können wir hier nicht so einfach weg. Abgesehen davon ist unser
Plan, irgendwann durch die ganze Welt zu touren, da können wir
auch nicht ständig in den Staaten sein.“ Die Karriere von
Simeon Soul Charger in Deutschland brummt. Das Debütalbum „Meet
Me In The Afterlife“ bekam geradezu euphorische Kritiken in der
Rockpresse.
Vom renommierten Rock Hard-Magazin gab es sogar satte 8
Punkte. „Eines der spannendsten Debütalben der letzten Jahre“,
schrieb Rezensent Michael Rensen. Neben unzähligen Club-Gigs
spielte die Band bei vielen Open Air-Festivals wie dem Kommz in
Aschaffenburg, dem Labertal Festival in Schieling oder dem
Trebur-Festival bei Rüsselsheim. Im Frühjahr supporteten Simeon
Soul Charger die dänische Rockband D-A-D bei drei Konzerten in
Deutschland und in der Schweiz. „In den Staaten haben wir
unsere Touren immer selbst gebucht“, sagt Aaron. „Dort ist es
nicht so leicht, an sein Geld zu kommen. Vor allem, wenn man
versucht, Konzerte außerhalb des eigenen Bundesstaates zu
organisieren. Wir waren alle schockiert, als wir unsere ersten
Konzerte in Deutschland gespielt haben. Sie haben uns bezahlt,
sie haben uns gefüttert, sie haben uns Freigetränke gegeben und
einen Übernachtungsplatz gestellt. Das ist völlig anders, als
alles andere, was wir bis jetzt in den Staaten erlebt haben.
Das gibt es vielleicht für etablierte Bands, aber wir sind ja
immer noch eine „Baby-Band“.“
Inzwischen haben die Jungs aus Ohio in der Nähe von Freising
auch schon Album Nummer zwei aufgenommen. Gemeinsam mit dem
befreundeten Tonmeister Eschi hat die Band ihre Songs komplett
analog aufgenommen, also ohne Hilfe von Computern. Erscheinen
soll „Harmony Square“ am 18. Mai wie schon das erste Album über
„Gentle Art Of Music“ - ein Indie-Label aus der
Psychedelic-Szene mit Sitz in Freising. „Wir sehen dieses Jahr
noch als Promotion-Jahr“, ergänzt Manager Bernd Buchberger.
„Also nehmen wir in Kauf, dass wir auch mal 500 Kilometer für
ein paar Freibier fahren müssen. Die Gagen sind noch lange
nicht hoch genug, um das ganze Projekt zu finanzieren. Aber wir
glauben einfach an die Band. Es wurde inzwischen sogar ein
eigener Fanclub gegründet und die Fanbase wächst irrsinnig
schnell. Überall, wo die Jungs waren, bleiben ein paar hängen.
Ich selbst habe mein Büro zuhause und kann mir meine Zeit sehr
gut einteilen. Außerdem erlauben mir meine Frau und meine zwei
Kinder dieses zeitraubende Hobby. Natürlich muss ich schauen,
dass mein Kerngeschäft weiterläuft - ich mache Zeitschriften –
deshalb verbringe ich gerade die doppelte Zeit im Büro um
nebenbei auch noch Booking und Promotion für die Band zu
machen.
Im September gibt es die neue Platte!
HIER DER LINK ZU GENTLE ART OF
MUSIC, DEM LABEL VON BANDS WIE RPWL
(FREISING)
Aber es funktioniert!“ Von der bayerischen Provinz aus wollen
Simeon Soul Charger den Durchbruch als Band schaffen. Das Geld
fließt momentan zwar noch nicht sehr üppig, aber Aaron, Rick,
Spider und Joe sehen jeden Tag Fortschritte. „Wir müssen
möglichst viele Shows spielen. Wir wohnen alle im selben Haus.
Hätten wir alle eigene Wohnungen und müssten alle separat Miete
bezahlen, würde das alles nicht funktionieren“, glaubt Aaron.
„Wir werden zwar nicht reich, aber wir kommen zurecht. Und wenn
es mal eng wird, gibt es ein sehr großes Netzwerk vor Ort, das
uns unterstützt. Ein paar Häuser weiter zum Beispiel, gibt es
einen Bauernhof, dort können wir in der Landwirtschaft
mithelfen und werden mit Bio-Lebensmitteln bezahlt.“
Verhungern kann die Band in Nandlstadt also schon mal nicht,
so viel steht fest. Und mit dem zweiten Album wird der ganz
große Wurf gelingen, da sind sich alle in der Band einig.
„Unser Plan ist es, die ganze Welt zu bereisen. Wir sehen die
Band als Mittel, um viele Länder zu sehen und viele Erfahrungen
zu machen. Bayern ist definitiv gerade unsere Heimat. Wir
genießen das entspannte Leben auf dem Land, denn wir alle sind
in der Stadt aufgewachsen und unser Leben als Rockband ist
hektisch genug. Ich zwar kann nicht in die Zukunft schauen,
aber ich glaube an den Erfolg von Simeon Soul Charger.“ Das
heißt, neben vielen Konzerten in Deutschland sollen die Jungs
aus Ohio bald auch überall in Europa und auch in ihren alten
Heimat in den USA spielen. Dann kommen sie allerdings als
Gäste…
Wolfram Hanke
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