Wir haben noch das alte .rcn-Interview mit Jon Lord
gefunden, das Martin Mai 2002 mit ihm führte, das ganze stand
in Heft 64 Dezember 2002. Martin sagte damals, dass das
"Gespräch mit Jon Lord eines der angenehmsten, unterhaltsamsten
und respektvollsten war, daß ich je mit einem Musiker führen
durfte." Punkt.
71 ist er geworden. Wer das Glück hatte, ihn in den letzten
Jahren noch live zu sehen denkt an anspruchsvolle Musikabende.
Zum Beispiel an den 21.11.2010, als er in der Philharmonie am
Gasteig in München mit dem Filmorchester Babelsberg sein
wichtigstes Werk aufführte. Er sagte es selber mit "Concerto -
my Baby - for Group and Orchestra" an. Oder am 7. April in
Roth, wo er mit seinem Bluesprojekt in der Kulturfabrik die 20.
Rother Bluestage mit seinem Glanz versorgte.
Lord stammte aus einer Künstlerfamilie und begann mit Klassik
auf dem Klavier. Dann fing es als Profimusiker mit Jazz an, bis
er bei der Gründung von Deep Purple ins Psychedelicrock-Genre
wechselte. Deep Purple beeinflußten den Hardrock maßgeblich.
Nach der ersten Auflösung von Purple ging er mit Ian Paice zu
Whitesnake, machte Soloalben oder fungierte als Gastmusiker in
Rock, Blues oder Jazz.
Später stieg er bei den wiedervereinigten Purple ein, um sie
2002 entgültig zu verlassen. In Australien tauchte er dann
plötzlich bei einem Blueskonzert der The Hoochie Coochie Men
auf. Später führte er wie oben erwähnt "sein Baby" als
Klassik-Konzert auf und spielte auch bei seinem Jon Lord Blues
Project ncht wenige Gigs.
Gerade in den letzten Jahren wurden viele DVDs veröffentlicht,
u.a. die vielen Aufnahmen aus der Montreux-Reihe von Eagle
Vision, bei denen Lord an exponierter Stelle zu sehen war. Wir
haben in unserem Archiv gekramt und ein paar extrem informative
Filme und Tonträger gefunden. Und ein lesenswertes
Interview mit ihm, das unser damaliger Redaktionshengst Martin
Mai (heute bei der AZ Nürnberg) mit ihm führte. Hier
also Interview und Mediatipps.
2007 kam die Hoochie-Live-CD, bei der neben
Lord auch Jimmy Barnes in Australien auf die Bühne kam.
The Hoochie Coochie Man
Danger: White Man Dancing
edel records / edel
Schon allein der Albumtitel spricht Bände! Ist das nicht eine
kleine Spur britischen Humors, wenn etwas gesetztere Musiker
vom Unvermögen des weißen Mannes beim Tanzen sprechen? Diese
gesetzten Musiker sind allesamt sehr relaxte Frührentner, die
sich nichts mehr beweisen müssen und den musikalischen Bogen
heraus haben. Zentralfigur ist der australische Bassist Bob
Daisley, den mancher durch seine Zusammenarbeit mit Ozzy
Osbourne, Uriah Heep oder Rainbow kennt. Er hat seit einiger
Zeit sein Bluesprojekt Hoochie Coochie Man als Hobby am Start.
Als alter Haudegen konnte er nun Jon Lord als Organisten für
die neue Platte gewinnen, dazu schnell noch Ian Gillan und
Jimmy Barnes als Gastsänger engagiert, und fertig ist eine
hochkarätige Besetzung, die eine fantastische Bluesrockplatte
eingespielt hat. Auch wer soliden Rock der früheren
Purple-Jahre mag und nicht nur den gepflegten Blues anhimmelt,
muss hier einfach zugreifen. Entspannte Musik von sehr
entspannten Herren zum Entspannen. Das Tanzen überlassen die
Herren den Jüngeren, denn Tanzbären gibt es genug in den
Hitparaden, das hier ist etwas für den Plattensammler!
Für die zweistündige Interview DVD 2012 gab Roland leider nur
drei Punkte:
MUSIK DOKU DVD
JON LORD
WITH PICTURES
EAR MUSIC/ EDEL, CA. 220 MIN.
Die Dokumentation versucht die eindrucksvolle und
abwechslungsreiche Karriere von Jon Lord mittels Interview
deutlich zu machen. Das fast zweistündige Interview (!) wird
immer wieder aufgelockert, durch Konzertausschnitte. Die
Konzertausschnitte sind aber nur jeweils ganz kurze Schnipsel,
die Songs werden leider nur angespielt. So überwiegt zu
deutlich das gesprochene Wort, auch wenn Jon Lord ein guter,
humorvoller und manchmal ironischer Erzähler ist. Schade, denn
Lord steht nicht nur für Deep Purple oder Whitesnake, sondern
er ist auch einer der Wegbereiter der Kombination von Rock und
Klassik. Das lange Interview ist ergänzt um zahlreiches
Bonusmaterial, so dass die DVD insgesamt 220 Minuten lang ist.
Doch auch beim Bonusmaterial kommt für meine Begriffe die Musik
zu kurz, die Songs, Liveauftritte mit u.a. „The Hoochie
Coochie“, „The Queensland Orchestra“, der australischen Band
„George und The Royal Philharmonic Orchestra“, werden zwar
ausgespielt, es sind aber insgesamt nur, wenn ich mich nicht
verzählt habe, sechs Stück. Viel zuwenig für so einen
begnadeten Musiker und Kompo-nisten, u.a. „Smoke on the water“,
„Highway star“ oder „Child in time“ entstammen aus seiner
Feder. Wer über 200 Millionen verkauften Alben auf seiner
Agenda hat, muss einfach mehr musikalisch „zu Wort kommen“.
ROHO 3
Zwei essentielle DVDs zeigen Lord von seiner humorvollen
Seite, hier kurz Ausschnitte:
DEEP PURPLE (2008)
4 DVD SET „AROUND THE WORLD LIVE“
EAGLE VISION / EDEL
...opulenten 4er DVD Edition als das nicht ganz billige aber
sehr schön aufgemachte ideale Geburtstagsgeschenk für den
bekennenden Purple Fan. Die Box enthält ein von Joel McIver
gestaltetes 32-seitiges Buch mit Fotos zu den jeweiligen Zeiten
der auf den Scheiben enthaltenen Konzerte. ... DVD 3 dann das
legendäre Konzert in Birmingham 1993, bei dem Jon Lord seinen
Abschied feierte inklusive der rührenden Abschiedszene. Die
letzte DVD schließlich bringt eine Dokumentation mit reichlich
Blick hinter die Kulissen und so mancher Anekdote. Lord, der
weißhaarige Dandy erweist sich als feinsinniger Humorist, wir
sehen Purple bei einem Gig in einem Schweizer Skigebiet ...
Langeweile kommt eigentlich nicht auf und das Auge erholt sich
auf allen DVDs vom üblichen, blitzschnell geschnittenen
Hektikfernsehen unserer Tage. Und man ist umfangreich über eine
Horde englischer Gentleman mit ihrem amerikanischen
Banjospieler informiert. Äußerst empfehlenswert! EF 8
DEEP PURPLE (2012)
TOTAL ABANDON – AUSTRALIA ’99
EAGLE / EDEL
... Die Haus- und Hofband des Labels, Deep Purple mit einer 13
Jahre alten Aufnahme aus Australien von der ersten Tour der
Band mit Steve Morse an der Klampfe. Und: Jon Lord saß noch an
der Hammond! Der Sound ist wirklich großartig, hier wurde
nichts korrigiert oder nachbearbeitet, sondern alle Instrumente
werden mit Herz gespielt und sind glasklar zu hören. ... Wer
die Spannung der früheren Jahre statt den glatten Steve
Morse-Spielfluss dieser CD bevorzugt, muss halt zum Blackmore’s
Night Konzert gehen und sich den Man In Black auf seiner
Mandoline anhören. EF 7
Und hier das Interview mit Jon Lord aus dem Jahre 2012 in
der Urversion von Maitin Mai, noch bevor der damalige Cheffe MM
darin herumgefuhrwerkt hatte: :-)
JON LORD – Good Bye Deep Purple – Hello
Classsic
"Du bist in echten Schwierigkeiten, wenn Du an deinen eigene
Bekanntheit glaubst."
Es gibt Sätze und Fragen im Leben eines Mannes,
von denen man im Normalfall nur träumt. Sätze wie der
aus dem AC/DC Song: „Schaff deinen verdammten Jumbo Jet
runter von meinem Flughafen“. Oder: „Wieso hat sich mein
Gärtner schon wieder meinen Maybach ausgeliehen?“ Etwas
bescheidener, wenn auch nicht weniger beglückender ist da doch:
„Spreche ich wirklich mit Jon Lord?“
Jon Lord und die Musik: Er war Mitbegründer und über 30 Jahre
lang beständiges Mitglied von Deep Purple, die – mit anderen
zusammen – die Rockmusik und den Hardrock erst geprägt haben.
Jon Lord hat am 24. September 1969 zum ersten Mal Klassik mit
Rock verschmolzen. An besagtem Tag traten nämlich sowohl Deep
Purple als auch das Royal Philharmonic Orchestra in der Royal
Albert Hall gemeinsam auf und spielten das von Lord komponierte
Concerto For Group And Orchestra. Die Kritiken waren schlecht,
das Publikum und die Fans dagegen haben das Concerto geliebt
und lieben es immer noch. Zur Zeit wird nun das Werk auf vier
verschiedenen Formaten, also CD, DVD, DVD –Audio und Super
Audio-CD frisch remastered und remixed wieder veröffentlicht.
„Eine Entscheidung der EMI“, wie Jon Lord an dem Nachmittag des
Interviews betont. Er freut sich zwar darüber, daß man wieder
über sein „Baby“ spricht, versteht den Grund dafür auch nicht
so ganz genau.
Ach, und Jon Lord hat noch etwas für die Musik getan: Er hat
den einfachsten, simpelsten, klarsten und genialsten Satz über
Musik geschrieben, den man ja schreiben kann, und den sich
sowohl Kritiker als auch Musiker in drei Meter hohen Lettern an
die Wand schreiben sollten: „If the music doesn’t whisper in
your ear, and help you to create your own image, then it has
failed.“ Eine überflüssige Erklärung, daß das Gespräch mit Jon
Lord eines der angenehmsten, unterhaltsamsten und
respektvollsten war, daß ich je mit einem Musiker führen durfte
– ein wahrer Gentleman saß da am anderen Ende der Leitung, der
so groß ist, daß er seine Größe in keiner Minute zeigt. Anders
gesagt: Zeigt mir einen Musiker von Weltrang, der sich am Ende
eines Gespräches an den Namen des Interviewers
erinnert...
Erinnerungen sind sowieso so ein Thema. Denn Jon Lord hat
seine letzte Show bei Deep Purple gespielt und seinen
endgültigen Ausstieg aus dem Rockzirkus erklärt. „Es war Zeit
dazu. Der kommende Abschied war während der letzten Jahre immer
deutlicher zu spüren. Ich wollte mehr Zeit für mich, meine
Familie, fürs Musik schreiben. Und Deep Purple, der Rest der
Band, wollten weiterhin touren und auftreten, was gut ist. Aber
es ist nicht das, was ich mir für meine Karriere vorstelle. Ich
habe eine Punkt in meinem Leben erreicht, und das hat jetzt
nichts mit dem Alter zu tun, sondern mit meiner Karriere, an
dem ich etwas anderes machen muß. Ich habe ein großes Bedürfnis
danach, ein Verlangen, so viel zu schreiben wie möglich. Also
mußte ich eine sehr schwierige Entscheidung treffen: Ein Band
zu verlassen, die für mich eine Unterstützung während der
letzten 30 Jahre war. Und mein guten, sehr engen Freunde sind.
Klar werde ich Purple vermissen - ich hatte eine fantastische
Karriere mit einer fantastischen Band und großartigen Leuten.
Aber es ist Zeit weiterzugehen.“
Eher das Gegenteil von weitergehen ist die
Wiederveröffentlichung des über dreissig Jahre alten Concerto.
Ist man nach so langer Zeit immer noch zufrieden oder möchte
man lieber etwas ändern? „Weißt du, wenn wir durch unser Leben
gehen würden und die ganze Zeit versuchen würden, all die
Dinge, die wir getan haben zu ändern, würden wir nie etwas
Neues machen können. Ich habe mir das Concerto 1999 wieder
vorgenommen, als wir es noch einmal geschrieben haben. Ich habe
ein paar kleine Dinge in der Orchestrierung geändert, aber das
ist alles. Ich denke, es ist wichtig, daß etwas ein Teil seiner
Zeit bleibt. Und wenn es immer noch mit einer Stimme zu
den Leuten spricht, die sie verstehen, um so besser. Aber es
sollte in seiner eigenen Stimme zu den Leuten sprechen, und
nicht verändert werden um dem Trend zu gefallen. Ich denke es
war ein gutes Stück, es hat damals gut geklappt. Und es klingt
immer noch gut und frisch und interessant. Ich bin sehr, sehr
stolz darauf.“
Als es ursprünglich veröffentlicht wurde, ist das Concerto von
der Presse ziemlich zerrissen worden. Wie verarbeitet man so
etwas? „Das ist eine interessante Frage - Kritik ist nie leicht
zu verkraften. Denn was kritisiert wurde hängt ja eng mit dir
zusammen. Und nicht alle Kritiken waren schlecht. Also
entscheiden sich Musiker generell dazu, den Guten zu glauben,
und die Schlechten zu bezweifeln. Aber jemand sagte mal: Ein
Kritiker ist jemand, der nicht fahren kann, dir aber beibringen
will, wie man fährt. Ich lese sie, ich höre ihnen zu, und dann
setze ich mein Leben fort.“ Trotzdem daß Jon Lord sich von Deep
Purple zurückgezogen hat, macht er weiterhin Musik.
Aber eben klassische Musik mit einem kleinen Orchester,
mit dem er nächstes Jahr auf Tour nach Deutschland kommen
will. Eine Sache mehr, die die treuen Jon Lord Anhänger
fanatisieren wird. „Es gibt da so einen schönen Satz: Du bist
in echten Schwierigkeiten, wenn Du an deinen eigene Bekanntheit
glaubst. Ich weiß worin ich gut bin. Ich weiß was ich tue. Ich
bin sehr zufrieden mit meinen Fähigkeiten. Und andererseits
lerne ich immer noch. Sehr viel. Dauernd. Und ich nehme mich
nie zu ernst – zum Beispiel sehe ich nicht in den Spiegel und
sage: Oh mein Gott, Jon, Du bist ein Genie (lacht). Ich mache
was ich mache. Und manche Menschen mögen es und viele
Leute reagieren darauf sehr angetan und loben mich und das ist
natürlich wundervoll, das zu hören. Aber das darf man nicht zu
ernst nehmen. Ich kann das auch nicht zu ernst nehmen. Ich bin
dankbar dafür, daß die Leute gut von mir denken, und mache
weiter.“
Martin Mai (2002)