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Rock im Park // Freitag, 01.06.2018
Von Lea Biermann
Als Warm-Up für den elektrisch geladenen Freitag sorgen
The Bloody Beetroots dafür, den Wüstenboden
vor der Park Stage schon einmal zu planieren. Mit Venom-Masken
sehen sie auf die Ferne eher aus wie Twentyone Pilots, aber je
mehr man sich der Bühne nähert, desto stärker unterscheiden
sich die Alternanzen des Mixes aus House und vielleicht ein
bisschen Dubstep, der um diese nachmittägliche Uhrzeit zu
hochsommerlichen Temperaturen dennoch heiß betanzt wird. Ein
bisschen fühlt es sich an wie in eine Kernspin-Röhre geschleust
zu werden, denn die mechanischen Beats werden höchstens von
gelegentlichen Vocals einer konventionellen Songstruktur
untergeordnet. Mit „Keep on Dancing“ unterläuft ihnen ein
verhältnismäßig rock‘n‘rolliger Exkurs, der dann in einem Remix
von „New Noise“ von Refused verebbt. Die Ambivalenz der Musik
trägt Spiderman #1 bildlich auf der Haut – oben Lederjacke,
unten Raver-Jogginghose. Und gerade, als die Dissonanzen
der MR-Tomographie ausklingen, meine ich sogar, langsam
eine Melodie erkannt zu haben und unter diesen Umständen
prädestiniert zu sein, der Immersion der Festival-Parallelwelt
nachzugeben.
Denn keine anderen als schicksalsergebene Gründe würden mich
sonst zu Good Charlotte treiben. Zugegeben,
die ersten vier Alben waren für mich als Teenager Sauerstoff,
aber schon letztes Jahr wirkte die Live-Show von GC bei einem
anderen Festival eher narkotisch als nostalgisch. Mit
Dodgers-Trikot und Goatie stolziert Joel Madden verkokst von
links nach rechts in einer sehr Fred-Durst-igen Attitüde und
verrichtet eben seinen Job. Die Setlist besteht aus einem
Medley der unspektakulärsten Songs aller Alben; neuere Songs
finden kaum Platz. Als sie dennoch einen der aktuelleren Tracks
- „Actual Pain“ - einbinden, fragt Madden ganz präventiv
defensiv: „Is one new song okay? Only one! I promise!“ Wobei
die Ironie etwas fragwürdig erscheint, angesichts der
verhaltenen Resonanz.
Wieder muss ich an mein 16-jähriges Ich denken, als ich
Trailerpark Rise Against auf der
Zeppelin-Stage vorziehe, denn diese Entscheidung hätte ich mir
damals nicht vergeben. Aber die unbeschwerte Stimmung vor und
auf der Park-Stage erfrischen die Unentschlossenheit und
eigentlich finde ich sowohl Alligatoah-, als
auch Trailerpark-Texte mittlerweile höchst
unterhaltsam. Grell gekleidet, komödiantisch interaktiv, ein
paar Flammenwerfern zu Kopf und Fuß der dicken, aufblasbaren
Dame im Hintergrund platziert und mit Joint im rechten
Mundwinkel ziehen Trailerpark jedenfalls ein komplett anderes
Klientel an als Rise Against auf der Hauptbühne und somit teilt
sich die Menge ganz gut zwischen den beiden Bühnen auf.
Thy Art is Murder hätten eigentlich eines
meiner Highlights des Freitags werden sollen, doch irgendwie
reißen sie mich nicht so ganz mit wie sonst. Das mag ein
bisschen am Sound liegen, der in der dunklen Halle etwas schmal
und seicht an der Oberfläche kratzt, eine große Traube von
Mosh-wütigen scheint das nicht zu beirren. Sehr
publikumsverbunden und verschmust geben sich die fünf
Australier und liefern zum Abschluss noch ein Beatdown-Cover
von Rammsteins „Du Hast“, wie es auf dem Sampler „The
Depression Sessions“ zu hören ist.
Im Anschluss daran noch schnell bei den Foo
Fighters auf der Mainstage nach vorne gedrängelt, um
das Urteil des RiP-Auftritts vor drei Jahren möglicherweise zu
widerlegen, aber es aktualisiert sich eher. Eine dramaturgisch
ausgeglichene Setlist, musikalisch überwältigend und dennoch –
oder gerade deswegen – nie enden wollende Soli, besonders bei
„Pretender“, dessen Riff irgendwann doch leicht einschläfert
und es mir nicht schwer macht, endlich zu
Bilderbuch auf die Park-Stage zu
wechseln.
Denn die Schluchtis geben sowohl vor- als auch nachträglich
die absoluten Favoriten unter allen Bands des Festivals ab. In
„Feinster Seide“ gekleidet stolziert Maurice Ernst lasziv wie
Rilkes befreiter Panther zwischen den gestaffelten
Pole-Dance-Stangen umher, die Bühne von Publikum trennen, und
räkelt sich mit ebendiesem spitzbübischen Lächeln, was einen
vielleicht doch ein bisschen die Hormone durchgehen lässt. Als
er sich zu „Maschin“ aus seiner Jeansjacke schält und mit dem
Österreicher Schmäh die vulgären Verse vertont, muss ich
eingestehen, dass ich nachvollziehen kann, dass so manch eine
Frau früher bei Mick Jaggers Anblick in leichte
Bewusstlosigkeit fiel. Selbstverständlich lebt die Musik auch
ein wenig von diesem Charme, doch im Vergleich zu vergangenen
Auftritten scheint „Maurice Antoinette“ das Spiel nun
perfektioniert zu haben. Ebenso eloquent und arabesk sind seine
Zwischenansagen, wie beispielsweise, als er mit glucksender
Vorfreude „Spliff“ der Polizei widmet und „alle Mädels und
Buben“, „alle bösen Mädels und bösen Buben“ und schließlich
„alle bitterbösen Mädels und bitterbösen Buben“ dirigiert, den
Refrain zu singen, während eine THC-Wolke über den Platz zieht.
Ein anderes Lüftchen weht, sobald „Sneakers for free“ erklingt
und sich das halbe Publikum seines Schuhwerks entledigt um es
in die Höhe zu strecken. Der einen Tag vorher veröffentlichte,
neue Song „Eine Nacht in Manila“ kommt natürlich auch zum
Anklang und verbreitet in jedem Fall Vorfreude auf
möglicherweise ein neues Album?
Die Gorillaz bilden für mich den glorreichen
Abschluss des ersten Festival-Tages und, entgegen vieler
Stimmen zu meiner Linken und Rechten, die einfach nur nach
„Clint Eastwood“ und „Feel Good Inc.“ hecheln, überwältigt mich
sowohl Show als auch Musik und die Vehemenz der ‚multimedialen
Experience‘. Selten hat mich die Atmosphäre einer Live-Show so
mitgerissen und ich unterstelle Damon Albarn nicht weniger als
künstlerische Genialität. Momente wie jener, als „Tomorrow
Comes Today“ mit einen Remix von „Every Planet We Reach Is
Dead“ homogenisiert, trotz abrupter Zäsur, beeindrucken
zumindest meine Wenigkeit. Albarns Ansage auf Deutsch vor
„Humility“ wirkt auf verquere Art und Weise unglaublich
sympathisch und dass er sonst damit spart, unterliegt wohl der
musikalischen Linearität und der Tatsache, dass die Musik für
sich selbst spricht. Der tranceartige Zustand, der sich nach
einigen Songs bereits einstellt, wird durch die
Videoinstallationen unterstützt, was somit einem Stummfilmabend
mit musikalischer Unterlegung schon sehr nahe kommt. Nachdem
schließlich „Feel Good Inc.“ mit großer Erleichterung zum Ende
der Show gefeiert wird, beginnt die große Völkerwanderung, denn
viele wollen nicht einmal die Zugabe abwarten, die immerhin
noch „Lake Zurich“, „Saturnz Barz“, „Kids With Guns“ und „Clint
Eastwood“ verspricht.
______
Von Ewald Funk
Die Foo Fighters auf der Mainstage bei Rock
im Park konnten in der Vergangenheit mal ein richtig tolles
Konzerterlebnis sein. Für diesen Abend waren 2,5 Stunden
Spielzeit anberaumt, die vor allem durch lange Ansagen,
Vorstellung der Bandmitglieder und das obligatorische Drumsolo
von Taylor Hawkins vollgemacht wurden. Als Setlist wählte Chef
Dave Grohl mitunter auch mal ziemlich frühe Songs aus ihrer
Zeit vor der Mutation zur Stadionrockband. Was natürlich die
Stimmung „alter“ Fans erheblich hob, beim Wald & Wiesen
Festivalmob allerdings etwas auf die Laune drückte. Dazwischen
durfte sich auch jedes Mitglied der aktuellen Livebesetzung
einen persönlichen Lieblingssong aussuchen und auch singen. Die
langjährigen Mitglieder Pat Smear (Ex-Germs) wählte natürlich
die Dreigriff-Ramones-Punk-Schule, Chris Shifflet, mittlerweile
über 18 Jahre dabei suchte sich Alice Cooper’s „Under My
Wheels“ aus. An sich ein toller, mitreißender Titel, für das
Jungvolk im Publikum weitgehend unbekannt. Grohl selber bleibt
natürlich neben Hawkins Hauptattraktion des Livesets. Grohls
kraftsportbedingt dicker Hals ist mittlerweile wieder etwas
zurück gebildet, vielleicht liegt das auch einfach an weniger
Kaugummi. Fazit: Es gab mal Zeiten, da bekam ich bei den Foo
Fighters während des Gigs fast dauernd Gänsehaut. Das passierte
2018 im Park nur zweimal. War der Setlist geschuldet und dem
deutlich spürbaren Bestreben der Band, den Gig wie Kaugummi zu
ziehen.
Da war für mich Abmarsch angesagt, kurz eine Bratwurst, und
dann weiter zu 2-3 Songs der Gorillaz und dann
Heimweg war der Plan. Lief anders, ich blieb bis zum Schluss
weit nach Mitternacht! Und zwar bei den
Gorillaz, denn die sorgten mittels
künstlerisch genialer Videoeinspielungen passend zu den Songs
ihrer mittlerweile vier Studioalben, einem satten Bass,
groovigen Rhythmus, einer vielköpfigen Liveband und einem
entspannt sympathischen Sänger Damon Albarn (Blur) für den für
mich persönlich einzigen Gig des Tages, der wirklich sein Geld
wert war. Albarn machte eine Zwischenansage sogar ganz auf
deutsch, das war kein auswendig gelernter Text, sondern
wirklich der Versuch, deutsch zu kommunizieren. Der Sound war
bombastisch, das Publikum tanzte ausgelassen mit und ich kann
nur meinen Hut ziehen, vor so einer wirklich perfekten Show,
die trotzdem Raum für spontane Aktionen ließ.