FRANK TURNER
EIN PUNKROCKER ZUM KUSCHELN
Frank Turner ist ein Phänomen. Der sympathische Brite aus
Winchester kommt eigentlich aus der Punkszene und hat mit der
Band Million Dead zwei Alben veröffentlicht. Aber richtig
bekannt wurde Turner, als er Ende 2005 den Stecker zog und
beschloss, als Songwriter mit Akustik-Gitarre durch die Lande
zu ziehen. Sein viertes Album „England Keep My Bones“, das er
Anfang Juni veröffentlicht hat, ist in England sogar auf Platz
6 in die Charts eingestiegen. Und das, obwohl Frank Turner
eigentlich kämpferische Folk-Songs im Stil von Billy Bragg oder
Bob Dylan macht. Der Brite hat sich durch permanentes Touren
eine riesige Fanbase erspielt, Turner hat in den vergangenen
sechs Jahren mehr als 1000 Konzerte absolviert. Wir haben den
englischen Songwriter zum Interview getroffen, nachdem seine
Heimat durch tagelange gewalttätige Ausschreitungen erschüttert
wurde. Häuser wurden geplündert und angezündet, Autos in Brand
gesteckt und Menschen auf offener Straße angegriffen. Unter
anderem ging im Londoner Stadtteil Enfield eine Lagerhalle der
PIAS-Labelgruppe in Rauch auf, die für große Teile der
britischen Indie-Labels die Tonträger vertreibt. Betroffen sind
unter anderem Labels wie Domino Records, Ninja Tune, Warp oder
Rough Trade.
.rcn: Was denkst Du über die Ausschreitungen
in den großen Städten Englands – London, Manchester oder
Birmingham?
„Ich denke, das war wirklich schlimm und ganz fürchterlich.
Ich bin ziemlich angepisst davon, weil viele Freunde und
Verwandte von mir attackiert und verletzt wurden. Leute wie Tom
Morello (Politaktivist und Gitarrist von Rage Against The
Machine, Anm. d. Red.) sagen, das sei ein politisches
Statement. Ich halte das für totalen Bullshit! Das macht mich
wirklich sauer! Das war einfach eine Gruppe von Leuten, die
beschlossen haben, zur gleichen Zeit Arschlöcher zu sein.
Dagegen konnte die Polizei nichts machen. Sie haben eine Menge
unschuldiger Menschen verletzt, die nichts verbrochen haben.
Und was das Schlimmste ist: Ein Warenhaus wurde zerstört, in
dem alle Independent Labels von England ihre Tonträger
lagerten. Ich habe alle meine Platten verloren. Ich schätze
mal, die Hälfte aller britischen Indie-Labels wird jetzt wohl
aufgeben müssen. Das ist wirklich ein schwerer Schlag für die
Indie-Szene in Großbritannien.“
.rcn: Was waren das für Menschen, die so was
machen? Es sollen sogar Frauen und Kinder dabei gewesen
sein...
„Natürlich muss man jetzt darüber nachdenken, warum das
passiert ist. Viele Leute verherrlichen das alles, indem sie
einen tieferen Sinn dahinter vermuten. Aber es gibt keinen. Das
war schlicht und einfach Diebstahl und sinnlose Gewalt. Mein
Cousin schlief zuhause mit seinen drei Kindern, als jemand
mitten in der Nacht einen Brandsatz in seinen Briefkasten
gesteckt hat. Scheiß auf diese Typen!“
.rcn: Es gab auch viele Diskussionen über das
Verhalten der Polizei. Oft hieß es, die britische Polizei sei
zu soft gewesen. Was meinst Du?
„Ehrlich gesagt kann ich das Dilemma der Polizei gut
verstehen. Im Vorfeld gab es einige Proteste gegen
unverhältnismäßige Gewalt der Polizei. Deshalb haben sie sich
wohl eher zurückgehalten, als die Ausschreitungen anfingen. Es
gab auch eine Menge Leute, die gesagt haben, lasst uns die
Mitschnitte der Überwachungskameras analysieren und die Täter
danach festnehmen. Das ist doch Schwachsinn! Es ist ja nicht
deren Haus, das gerade zerstört wird. Die erste Pflicht des
Staates ist es, seine Bürger zu schützen. Und wenn die Polizei
nicht das Eigentum der Bürger vor Brandstiftung schützen kann,
weiß ich nicht, wofür sie eigentlich da ist.“
.rcn: Glaubst Du, die Ausschreitungen sind
ein Problem, das nur England betrifft? Es gab ja auch schon
ähnliche Vorfälle in den Vororten von Paris...
„Keine Ahnung! Ich meine, die Franzosen sind ja bekannt dafür,
dass gerne mal Sache kaputtgemacht oder angezündet werden. Ich
denke, es ist ein Phänomen der westlichen Gesellschaft
allgemein. Uns in England hat es jetzt besonders hart
getroffen, ich weiß zu wenig über die Situation in Frankreich
oder Deutschland, um das beurteilen zu können.“
.rcn: England ist immer ein großes Thema in
deinen Songs. Dein letztes Album heißt ja auch „England Keep My
Bones“. Das scheint dich also sehr zu beschäftigen...
„Definitiv! Natürlich ist das nicht als nationalistisches
Statement zu verstehen. Es stellt hoffentlich genauso viele
Fragen, wie es Antworten gibt. Es gibt natürlich auch eine
Menge Dinge in und über England zu erzählen, die mich sehr
deprimieren. Die Ausschreitungen sind ein sehr gutes Beispiel
dafür. Aber gleichzeitig liebe ich die englische Landschaft.
Ich bin auf dem Land groß geworden und habe die größten Teile
der Insel schon bereist. Das erfüllt mich sehr. Es gibt kaum
Schöneres, als an einem sonnigen Nachmittag an der Südküste zu
stehen. Das ist wirklich wundervoll!“
.rcn: Würdest du dich selbst als Patriot
bezeichnen?
„Ich mag das Wort Patriot nicht, weil man das mit Sachen
verbindet, die ich nicht gut finde. Ich glaube nicht, dass ich
besser bin als andere, nur durch den Zufall, dass ich hier
geboren wurde. Aber es gibt aber auch Sachen über England, die
ich natürlich auch feiern kann.“
.rcn: Einige von den Songs auf deinem neuen
Album sind sehr traurig. Du singst zum Beispiel vom Ertrinken
im Ärmelkanal. Geht’s dir gut?
„Das habe ich mich auch gefragt. Aber ich schreibe Songs und
Texte nicht in eine gewisse Richtung. Ich fange einfach an und
lasse mich treiben. Und als das Album fertig war, habe ich
festgestellt, dass da ein paar ernsthafte Gedanken über den Tod
drauf sind. Ich kann dir nicht erklären, warum. Ich erfreue
mich bester Gesundheit. Ich habe beim Songwriting einfach die
Augen geschlossen, mir vorgenommen, gute Songs zu schreiben und
ich denke, das hat funktioniert.“
.rcn: Du bist also nicht erschöpft oder
depressiv, weil du zu viele Konzerte spielst? Du bist ja fast
nonstop unterwegs...
„Ich liebe es auf Tour zu sein. Natürlich gibt es Tage, an
denen man einfach nur nach Hause will. Tage, an denen man nicht
viel Spaß hat. Aber diese Tage gibt es wohl in jedem Job. Es
ist also nicht besonders einzigartig, wenn ich einen schlechten
Tag habe. Aber eines meiner Themen auf dem neuen Album ist der
Zwist zwischen Fernweh und Heimweh und dem Kampf zwischen den
beiden Gefühlen. Ich habe keine Ahnung, wer gewinnt, aber
daraus entstehen einfach gute Songs.“
.rcn: Gibt es irgendein Land, das dir
besonders gut gefällt? Du warst ja zuletzt sogar in Polen
unterwegs.
„Ja, und wir waren auch kürzlich das erste Mal in Kroatien,
das war toll! Also ich will dir jetzt nicht unbedingt in den
Arsch kriechen, aber ich und meine Band, wir lieben
Deutschland! Die Konzerte in Deutschland sind jedes Mal
wunderbar. Ich bin aber auch ein großer Fan von Amerika. Ich
kann diesen europäischen Anti-Amerikanismus nicht verstehen.
Die Leute waren höchstens mal in New York oder so und sagen:
Amis sind fett und blöd! Mir ging es ja genauso, bevor ich dort
auf Tour war. Aber jetzt habe ich in 38 von 50 Staaten gespielt
und es ist eines der unglaublichsten, schönsten, verstörendsten
und überraschendsten Länder der Erde. Für jede Aussage, die man
von Amerika trifft, kann man auch genau das Gegenteil sagen und
beides trifft zu. Ich überlege sogar ernsthaft, für ein paar
Jahre dort zu leben.“
.rcn: Ich habe deine Show im Stattbahnhof in
Schweinfurt gesehen. Du ziehst eine Menge Punkrock- und
Hardcorepublikum an. Obwohl du eigentlich Folksongs spielst.
Wie kommt das?
„Natürlich liegen im Punk und Hardcore meine Wurzeln. Keine
Ahnung, warum das so ist, dass ich der Akustik-Typ in der
Punk-Szene bin. Ich denke auch nicht viel darüber nach, wie ich
bei wem warum ankomme. Einer meiner Freunde aus Amerika hat in
einem Gespräch mal erwähnt, dass er mich kennt. Und sein
Gegenüber hat gesagt: Frank Turner? Ist das nicht der Typ, dem
tätowierte Leute zuhören, wenn sie Händchen halten wollen?
Besser kann man mich nicht beschreiben, finde ich!“
.rcn: Viele Jungs aus Punkrockbands sind
inzwischen auch mit der Akustik-Gitarre unterwegs. Chuck Ragan
von Hot Water Music, Joey Cape von Lagwagon oder Tony Sly von
No Use For A Name. Woher kommt dieser Trend?
„Als ich vor sechs Jahren angekündigt habe, dass ich meine
Band verlasse und mit Akustik-Gitarre auf Tour gehe, wurde ich
von meinen Freunden ausgelacht. Aber jetzt machen das viele
Leute. Und irgendwie bin ich stolz drauf, dass mich damals
viele als Idiot bezeichnet haben und ich ihnen das Gegenteil
beweisen konnte. Es gibt eine positive und eine negative
Antwort darauf, warum das jetzt so populär ist. Punkrock gibt
es jetzt schon lange genug, dass die Leute die Ideen hinter
Punkrock verstanden haben. Wenn du das erste Mal Jawbreaker
hörst, blasen sie dich weg. Wenn du aber die hundert Bands
hörst, die genau das Gleiche machen, wird es langweilig. Wenn
du aber die gleiche Idee und die gleiche Leidenschaft mal
anders präsentiert bekommst, erinnerst du dich vielleicht
daran, warum du Punkrock anfangs so gut fandest. Und die
negative Seite ist, dass natürlich jetzt viele auf den Zug
aufspringen. Viele Leute sagen, wenn der nächste Punkrocker mit
Akustik-Gitarre auf Tour geht, dann ist das nur eine
kostengünstigere Art, Konzerte zu spielen.“
.rcn: Hast du jemals daran gedacht, deine alte Band Million
Dead zu reaktivieren?
„Million Dead werden wohl nie mehr mit mir auftreten. Ich
denke aber wirklich gerade konkret über ein
Hardcore-Seitenprojekt nach. Ich würde es mal als Urlaub von
dem bezeichnen, was ich gerade mache. Geplant ist ein Trio mit
Gitarre, Schlagzeug und mir als Sänger. Und das alles sehr
brutal im Stil von Converge oder Jesus Lizard. Einfach
bösartiger Krach! Aber es gibt noch keinen Zeitplan dafür.
Außerdem arbeite ich gerade an einer Art Tour-Tagebuch, aber
das zieht sich gerade sehr in die Länge.“
.rcn: Du warst dieses Jahr auch mit Social
Distortion unterwegs. Wie war das für dich?
„Das war phantastisch! Ich bin mit Social Distortion groß
geworden. Am ersten Tag war ich furchtbar nervös und dachte
mir: Hoffentlich sind es keine Arschlöcher! Und zum Glück kann
ich sagen: Sie sind keine Arschlöcher, sondern furchtbar nett!
Mike Ness ist ein Schatz. Er ist ein ganz süßer alter Mann.
Jeden Tag hat er sich bei mir über britische TV-Shows
erkundigt, die er super findet. Er ließ sich von mir immer den
englischen Humor erklären. Von dieser Tour werde ich auf jeden
Fall jedem Mädel erzählen, das ich beeindrucken will.“
.rcn: Vielen Dank für das Gespräch!
Wolfram Hanke