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SO WAR: RUSH, FRANKFURT-FESTHALLE, 29.5.11, 13.000 BESUCHER, AUSVERKAUFT.

Für die jüngeren Semester: Rush ist ein kanadisches Artrock-Trio mit Fans aus allen Gesellschaftsschichten. Statt todernst ihre alten Schinken in immer kleineren Hallen herunter zu nudeln, haben die Drei etwas, was anderen Bands fehlt: Mut zur Selbstkritik, bzw. einen wunderbaren Hang zur Selbstironie. So kommt es, dass sie nur ein Konzert in Deutschland spielen müssen, zu dem dann ohne großen Wind in der Medienwelt mal eben 13.000 Leute aus ganz Europa pilgern.
SO WAR: RUSH, FRANKFURT-FESTHALLE, 29.5.11, 13.000 BESUCHER, AUSVERKAUFT.
Die Festhalle. Links unten, von außen.

Rush touren seit 1973. Das Phänomen der Band, die bei den eigenen Fans gerne "die heilige Dreifaltigkeit" genannt wird, ist einfach erklärt. Wo andere Bands ihre Krisen in der Boulevardpresse auswälzen oder sich in der musikalischen Belanglosigkeit in immer kleinere Hallen oder auf Bierfesten den Ruf kaputt machen, baut Rush immer noch auf ihr besonderes Image, sie seien eines des best gehüteten Geheimnisse im progressiven Rock. Jeder beinharte Rush Fan wird das bestätigen. Rush Fans bilden eine respektierte Gilde, die ohne viel sagen augenzwinkernd zusammen hält. Rush ist Ersatzreligion, hilft bei schlechten Lebenslagen und sorgt für feuchte Augen bei den Konzerten und reinigt die Psyche somit von schmutzigen Gedanken. Ihre geradezu perfektionierte und permanente Selbstverarsche läßt Peinlichkeit erst gar nicht aufkommen. Progbands wie Dream Theater aus der Frickelfraktion oder Art-Rocker der neuen Generation wie Muse können mit einem vollsaftigen und souveränen Rush-Auftritt nicht mithalten. Punkt. Das muß man einfach so feststellen.


Kritisch angemerkt darf man aber feststellen, dass ihre neueren Werke nicht mehr die emotionale Tiefe der früheren Alben erreichen, die Band streitet das nicht ab und zelebriert stattdessen in bestem Futter kurz vor dem Erreichen des biblischen Musikeralters von 60 Lebensjahren ihren unglaublichen Backkatalog stets im neuen Gewand. Die aktuelle Tour, nach der letzten R-30 Tour um 2005 zum 30-jährigen "Bandjubiläum" trug jetzt den Titel "Time Machine", Bühne und Drumherum war im momentan angesagten Steampunk-Design gehalten. Die Band hat das legendäre Album "Moving Pictures" als besonderes Schmankerl komplett durchgespielt und das Konzert in der wunderschönen Frankfurter Festhalle dauerte exklusive Pausen satte drei Stunden.

Ich gehe davon aus, dass die bereits gespielten Songs vom neuen Album später auch im Steampunk-Design als Coverartwork erscheinen werden, ist ja momentan schwer angesagt, siehe In Extremo. Hüstel.

Unglaublich die Vielfalt an Fans! Typische Rush Nerds ("mein Shirt ist älter als deins") treffen auf Alt-Hippies, junge Musiker, Gothics (End Of Green war fast komplett anwesend) und Konzertshirt-Poser. Man las von Dredg über die Foo Fighters und Motörhead hunderte von Lieblingsbands auf den zur Schau getragenen Shirts. Mir bisher unbekannt aber war diese dubiose "Hilfiger"-Band, deren Träger aber noch ein "George Thorogood"-Shirt zur Jacke anhatte. :-)


Die Show war grandios. Natürlich hat der technische Standart der drei Musiker mittlerweile unerreichbare Höhen erklommen, Nicht-Musiker finden aber am Groove der Band genauso ihr Gefallen. Bereits nach 18:30 Uhr startet die Band mit einem schönen Intro auf der Leinwand. Ich weiß nicht, welchen Standart die Kameras haben, mit der Bühnenbilder an dem Abend auf die riesige Leinwand projeziert wurden, aber die gestochen scharfen Bilder zeigen eine bisher von mir noch nie gesehene Schärfe. Hier läuft die technische Entwicklung natürlich gegen die Band. Damals noch jung und knackig wie bei meinem ersten Konzert in Böblingen 1981 sind die Musiker knapp 60 und jede Falte und jeder Altersfleck im Gesicht oder leicht angenagte Fingernägel der Musiker sind bei den Nah-Einstellungen deutlich zu sehen. Stört die Band aber nicht. Andere Musiker sind da eitel, Rush lachen darüber und tragen Shirts mit dem Wortlaut "Rash" (Geddy Lee) oder tragen ihre schütteren Haare Marke Mönchstonsur (Alex Lifeson) mit Würde. Lifeson ist nach wie vor der Clown der Band und schüttelt seine virtuosen Riffs und Solis wie gewohnt mit humorvollen Grimassen ins Publikum. Lee hat wegen des irrsinnigen Fundus an Songs auch immer einen Teleprompter vor sich für die Texte laufen, verständlich, da er ja singen, Keyboard und vor allem Bass spielen muß. dafür gibt es bei anderen Bands drei verschiedene Musiker, und deren Songs sind nicht halb so kompliziert wie die Monumente der Kanadier. Der Professor am Schlagzeug ist nach wie vor das Maß aller Dinge im modern drumming, wie immer mit Pokerface hinter seiner riesigen Schießbude mit Steampunk-Zahnraddesign unterwegs wie die Hölle. Wer weiß, dass vor Jahren kurz hintereinander seine erste Tochter (Autounfall) und Frau (Krebs) gestorben sind, wird das ernste Gesicht verstehen. Er setzte sich a'la Forrest Gump zur langen Reise in Bewegung, die Band wartete auf ihn und als die Zeit reif war, spielten die drei Freunde wieder zusammen. Ohne das auch fest geplant zu haben.

 


Bühnenbild und Akustik wie immer perfekt. Die Band ist bekannt für ihren sparsamen aber witzigen Bühnenaufbau. Bass- und Gitarrenverstärker wurden aus humoriger Laune irgendwann mal ausgewechselt. Wo andere Bands ihre Marshalls und Ampegs stehen haben, wurde in der Vergangenheit ein Hähnchengrill ("...ich liebe den Geruch von Brathähnchen auf der Bühne" Lee) oder eine Wäschetrocknerbatterie ("Alex' Verstärker war immer eine riesige Mauer, und ich habe immer nur eine Kiste da stehen gehabt. Also habe ich mir Wäschetrockner auf die Bühne gestellt" Lee) installiert. Diesmal stand im Design der H.G. Wells-Verfilmung "Die Zeitmaschine" gehaltenes Gedöns auf den Brettern. Da dampfte es mal hier, mal da oder altmodische Anzeigearmaturen blinzelten zusammen mit blitzenden Röhren. Auf Geddys Seite leuchteten wahlweise nebeneinander die Anzeigen "Real Time", "Half Time", "Bass Time" und "Sausage Time". Bei letzterem kamen tatsächlich seitlich Würste aus der Apparatur. In der Pause strahlte mitunter die Jahreszahlanzeige an der Zeitmaschine auf Leinwand.

Schön einmal wieder Songs wie "Camera Eye" zu hören! laut Erzfan Jürgen E. aus Fürth zum letzten Mal 1981 gehört... Unglaublich auch das Drumsolo vom Professor mit einer tollen Animation hinten auf der Leinwand: Ein Steampunk-Roboter mit krakenartigen Armen spielt synchron zu Pearts Solo vorne. Traditionell kommt auch plötzlich Personal auf die Bühne und holt die Würstchen ab, oder entstaubt Pearts Drumpodest mit einem Federbusch. Würde man alle Impressionen schildern wie etwa die Reggae Version am Schluß oder die satirischen Zwischenvideos (Tom Sawyer gespielt in allen Altersstufen von Affen, Urmenschen oder Rush als Kleinkinder inklusive Vokuhila) wäre man morgen noch am Schreiben. Das Tschüss-Video aber war toll, wo zwei Die Hard-Fans mit gefälschten Backtstagepässen (All Access mit dreimal "CCC") ins Aftershow-Catering eindringen und von der Band beim Sandwich-Klauen überrascht werden. Und dabei wollten sie ja nur ihre Doppelhalsgitarre signiert haben...

Prädikat: Anbetungswürdig und jeden Cent wert!

Ewald Funk