Triple Live Treat
München, Hansa 39, 02.05.13
Berlin, Festsaal Kreuzberg, 07. und 08.05.13
München, Hansa 39, 02.05.13
Für den ersten Teil ihrer Europa-Tour hatten die Melvins für
13 Shows die Basslegende Trevor Dunn (u.a. Mr. Bungle,
Tomahawk) im Gepäck, mit dem sie als „Melvins Lite“ das
2012er-Album „Freak Puke“ und drei Stücke für das aktuelle
Cover-Album „Everybody loves sausages“ eingespielt hatten.
Derartige Album-Kollaborationen mit anschließender Tour gab es
ja auch schon mit Fantomas und Jello Biafra und sind in der
Regel einmalige Gelegenheiten, die Band mal in einem etwas
anderen Kontext zu erleben. Von daher: nix wie hin nach
München. Als Vorgruppe fungierte das Trio von Big Business,
deren Drummer Coady und Bassist Jared ja bereits seit dem
2006er „A senile animal“ fest zum aktuellen Line-Up gehören.
Purer Inzest also, zumal Coady dann später noch zum finalen
Schuss und famosen Doppel-Drumming mit auf die Melvins
Lite-Bühne kam. Aber eins nach dem anderen. Big Business
heizten die Stimmung schon mal gut und humorvoll mit ihrem doch
recht brachialen Power-Sludge auf und natürlich kann man sich
kaum einen passenderen Support für ein solches Ereignis
vorstellen.
Die Melvins selbst hatten sich für ihre „Lite“-Shows eine
recht spezielle Setlist arrangiert, die zum einen Teil aus
Stücken des „Freak Puke“-Albums bestand und nebenbei Trevor
Dunn jede Menge Raum für überwiegend krasse Solo-Einlagen am
Kontrabass (!) gab. Teilweise unglaublich, welche Töne dieser
Mensch seinem Instrument entlockt, da dürfte so manchen
klassischen Kontrabassisten echt schaudern. Anyway, Trevor ist
eben tief im Free-Jazz verwurzelt, und da wird selbst ein
Geigenbogen zur Waffe. Entsprechend griff man auch bei den
restlichen Songs auf eher abseitige bis selten live gespielte
Extravaganzen á la „Captain Pungent“ oder „Berthas“ zurück.
Dass sich „Electric Flower“ vom 2010er „The bride screamed
murder“ zum absoluten Live-Smasher gemausert hat dürfte
zwischenzeitlich bekannt sein, und so konnte das Stück ebenso
wenig fehlen wie das mittlerweile komplett perfektionierte
„Shevil“ vom 1994er Klassiker „Stoner Witch“. Einen solch
vergleichsweise unscheinbaren Song nach so vielen Jahren zum
krönenden und fast unverzichtbaren Abschluss eines Konzerts
aufzubauen spricht einmal mehr für die Klasse dieser immer
wieder erstaunlichen Melvins.
Fazit # 1: eine ganz besondere Melvins-Show
in einmalig irrer Besetzung, die gerade durch den
Kontrabass-Wahnwitz Trevor Dunn’s und aufgrund der extremen
Songauswahl selbst erfahrenen Melvins-Fans als echtes
Highlight in Erinnerung bleiben dürfte.
Als wäre die Ankündigung der Melvins-Lite-Tour mit Trevor Dunn
nicht schon genug Grund zur Freude, haben die Melvins an die
Lite-Tour doch tatsächlich noch vier europäische Städte
angehängt, um die 2011 in sieben US-Großstädten begonnene
„Endless Residency“-Serie fortzuführen. Das Konzept: zwei
Nächte in einer Stadt mit kompletter Vollbedienung, bestehend
aus den Alben „Lysol“, „Eggnog“ und „Houdini“ (Nacht 1) sowie
„Bullhead“ und „Stoner Witch“ (Nacht 2). Und nachdem man sich
Berlin für das bisher und wahrscheinlich auch künftig einzige
Doppelkonzert dieser Reihe in Deutschland ausgeguckt hatte war
auch dieser Trip schlicht unumgänglich. Von daher: nix wie hin
nach Berlin.
Berlin, Festsaal Kreuzberg, 07.05.13
Nachdem sich Bühnenaufbau und Soundcheck wegen falscher
Drum-Skins etwas verzögert hatten und unser Interviewtermin
dann auf den nächsten Tag verschoben wurde, legten die Melvins
im ausverkauften Festsaal relativ pünktlich los, und wenn eine
Sache sofort klar war, dann die Tatsache, dass es eine
buchstäblich heiße Nacht werden würde. Die Temperaturen sind
besonders im oberen „Balkon“-Bereich ziemlich schnell ziemlich
heftig gestiegen, so dass schon während dem massiven
instrumentalen Einstiegs-Triple „Charmicarmicat“ - „Hung Bunny“
- „Roman dog bird“ der Schweiß in Strömen floss. Gute
Entscheidung also, den Abend in zwei jeweils gut einstündige
Sets aufzuteilen, um zwischen dem Eggnogg/Lysol-Doppel und dem
darauffolgenden Houdini eine gut 20-minütige Pause einzulegen.
Auch rein musikalisch hat der Break durchaus Sinn gemacht, da
das Houdini-Set im Gegensatz zu den doomig-massiven
Soundgewittern des ersten Sets aufgrund der stilistischen
Ausrichtung des damaligen Durchbruch-Albums wesentlich
eingängiger rüberkam.
Fazit # 2: Die beiden massiven early-90s
Alben „Eggnogg“ (1991) und „Lysol“ (1992) in Kombination mit
dem Major-Label-Debüt „Houdini“ (1993). Ganz ehrlich: was soll
man da noch sagen… Vollbedienung par excellence und man kann
nur dankbar sein, dass die Melvins dieses Doppelkonzert-Konzept
dann auch wenigstens dieses eine Mal nach Deutschland gebracht
haben.
Berlin, Festsaal Kreuzberg, 08.05.13
Das Interview.
19:00 Uhr Interviewtermin mit King Buzzo. Zur Überraschung
sitzen Buzz und Drummer Dale Crover bei meiner Ankunft schon im
Festsaal-Biergarten, um sich mit meinen spanischen Kollegen
Douglas und Sergio zu unterhalten. Erstmal brav ein Bierchen
trinken und abwarten, bevor es in ein recht lockeres Interview
geht. Nachdem Buzz am Vorabend wegen der Verzögerungen beim
Aufbau und Soundcheck dann ja nachvollziehbarer Weise vor der
Show keinen Bock mehr auf Interview hatte war es dann wohl
tatsächlich die bessere Idee, das auf heute zu verlegen.
Worüber wir uns unterhalten haben? Erstmal erklärt, dass ich
für das „nordbayrische“ .rcn schreibe, was Buzzo (offenbar
geographisch sehr gebildet) mit „the northern South? Redneck
Germany?!“ und seinem typischen “hrrrhrrhrrrhrrr”
quittierte.
Wenn man sich mit Buzz über die aktuellen Trends im
Musik-Business unterhält dann landet man relativ schnell an dem
Punkt, dass sich doch vieles geändert hat in den letzten
Jahren, seitdem im Internet falls alles frei verfügbar ist. Zu
stören scheint ihn das nicht, Buzz ist bei diesem wie
eigentlich allen anderen Themen sehr pragmatisch und
kommentiert grundsätzlich alles mit seinem sehr eigenen und
erfrischend-ansteckenden Humor. „Die Leute regen sich immer
über irgendwas auf und ich kann nicht alle glücklich machen.
The music’s fuckin‘ free on the internet, what more do they
want? Du kannst den Leuten die Sachen für umsonst geben und sie
finden trotzdem noch was um sich zu beschweren”. Das, in Bezug
auf die kostenlose und wirklich empfehlenswerte „The bulls and
the bees“-EP, die mal so nebenbei ohne großen Wirbel zum freien
Download veröffentlicht wurde. Auf der anderen Seite
veröffentlicht die Band dann schon seit Jahren sehr limitierte
Handarbeiten. Dale Crover dazu: „Wir machen da ein teilweise
sehr spezielles handgemachtes Packaging, das nicht unbedingt so
einfach und billig ist, echte Handarbeit und sehr limitiert.“
Buzz: „Und das kannst Du dann auch nicht im Plattenladen
kaufen, weil wir es nicht an Plattenläden vertreiben“.
Schon im Herbst startet in den USA die „30th Anniversary
Extravaganza Tour“, und natürlich wollte ich wissen, wie
extravagant die ausfallen würde und ob die Band damit im
nächsten Jahr auch wieder in unsere Gefilde kommen würde. Klare
Aussage: „so extravagant wie immer, und nächstes Jahr wäre dann
ja schon unser 31-ter“, von daher: „no idea“ (Buzz) bzw. „we’ll
probably come back at some point (Dale). Was die Jungs
sich nach der aktuellen Kombi-Tour vorstellen könnte wäre ein
Melvins-Lite/Melvins-Package. Dale: „Wir würden eine Tour mit
beiden Lineups machen, wenn wir das zeitlich irgendwann
hinbekommen.“ Buzz: „35 Minuten Melvins-Lite, 35 Minuten
Melvins“.
Nachdem die Melvins ja eigentlich ständig irgendwo auf Tour
sind und ebenso fleißig neues Material auf den Markt werfen (im
Schnitt ein Album pro Jahr und dazwischen noch Singles im
gefühlten Wochen-Takt) wollte ich mal wissen, wie man das alles
unter einen Hut bringt. Meine Vermutung war ja, dass die Band
(bzw. Buzz) auch auf Tour Songs schreibt, aber weit gefehlt.
Buzz: „Ich schreibe keine Songs wenn wir unterwegs sind. Keinen
einzigen. Wenn ich daheim bin, dann spiele ich jeden Tag
Gitarre. Ich habe das so eingerichtet, dass ich relativ einfach
Songs aufnehmen kann, selbst über mein Handy. Und ich nehme
sehr viel und alles Mögliche auf, was mal ein Song werden
könnte. Ich habe eine ziemlich große Sammlung an Ideen, die nur
darauf warten, zu einem Song zu werden. Genau genommen müsste
ich mir überhaupt gar nichts Neues mehr einfallen lassen und
käme sehr weit mit dem, was ich schon an Ideen gesammelt habe.
Mir fällt nur trotzdem noch immer was ein und die neuen Ideen
sind ja immer die besten. Wenn wir touren, dann habe ich
einfach einen anderen Job als Songs zu schreiben. Wir probieren
zwar manchmal im Soundcheck neue Sachen aus, aber die schreibe
ich nicht unterwegs sondern das sind dann Sachen, die wir
daheim schon ausgearbeitet haben. Wenn ich Songs schreibe, dann
mit einer akustischen oder E-Gitarre und da kann ich niemanden
um mich rumwuseln haben. Manchmal dauert es Jahre, um einen
Song fertigzustellen, manchmal ist das eine Sache von Minuten.
Gerade bei den Melvins Lite-Sachen gingen manche relativ
schnell.“
Nochmal nachgehakt zum Thema „Veröffentlichungswahnsinn“
(http://www.themelvins.net/wiki/index.php?title=Melvins_Discography)
meint Buzz, abgesehen davon dass er bei jeder Gelegenheit Ideen
aufnimmt: „Ich verstehe nicht so ganz, was diese „Musiker“ die
ganze Zeit so treiben. Scheint manchmal so, dass sie schlicht
und einfach gar nichts tun, wenn sie erst mal ein paar
Millionen haben. Musiker sind wohl generell ein ziemlich faules
Volk.“ Bei so viel Umtriebigkeit ist es irgendwie schwer
vorstellbar, dass Buzz einfach so mal „nur Urlaub“ macht, die
Füße in den Sand steckt und einfach mal nichts tut, oder?
„Einfach mal daheim zu sein ist mein Urlaub. Ich gehe nicht
wochenlang auf Tour um dann wenn ich heimkomme zu sagen: ich
muss hier mal raus! Ist auch mal schön, auf die eigene Toilette
zu gehen. Das ist Luxus! In meinem eigenen Bett zu schlafen,
Filme auf meinem eigenen Fernseher zu sehen. Mit meiner eigenen
Frau abzuhängen und nicht mit der Frau von irgendeinem anderen
Typen, hrrrrhrrrhrrrhrrr. Mit dem Hund Gassi gehen, Golf
spielen…“.
Da ich den Berlin-Trip neben den beiden Melvins-Konzerten
natürlich auch ganz touristisch angegangen bin habe ich mal
nachgefragt, wie Buzz und Dale ihre Tour-Freizeit so verbringen
und ob sie dann auch die typischen touristischen Highlights
ansteuern, was ja gerade in Berlin naheliegen würde. Buzz: „Das
haben wir schon vor 20 Jahren gemacht“. Dale: „Wir waren schon
einige Male hier, klar gehen wir mal raus, gehen was essen und
schauen uns um, aber wir sind eben hier um zu arbeiten.“ Buzz:
„Wir sind hier um zu arbeiten und nehmen das sehr ernst.“ Dale:
„Wir sind hier halt nicht im Urlaub. Klar, die ersten Male als
wir hier waren haben wir auch diese Touristen-Sachen gemacht.“
Buzz: „Ja, wir haben uns das wirklich alles angeschaut,
Konzentrationslager, Checkpoint Charlie und so weiter. Und wenn
wir all das nicht schon gesehen hätte, dann würde ich es mir
auch anschauen. Ganz sicher.“
Das Konzert:
Erstaunlicherweise war am zweiten Abend ein klein bisschen
weniger los als in der vorangegangenen Nacht, was schon leicht
seltsam erscheint, weil: wer geht bei so einem Event nur einen
Abend hin? Naja. Gibt wohl Leute mit anderen Terminen. Da auch
das Wetter ein wenig abgekühlt hatte war die zweite Nacht im
Festsaal temperaturtechnisch gefühlte ein bis zwei Grad kühler
aber trotzdem noch unglaublich heiß. Zum Einstieg gab es gleich
mal den Bullhead-Opener „Boris“, mit dem die Melvins in der
aktuellen Intensität wahrscheinlich jede Doom-Band im
Zeitlupentempo an die Wand klatschen. Es folgte im ersten Set
des Abends der Rest des teilweise doch recht sperrigen
Bullhead-Albums, wobei es schon bemerkenswert ist, wie sehr
diese Songs durch das aktuelle Line-Up mit zwei Drummern
nochmal deutlich an direkter Durschlagskraft gewinnen. Dass die
meisten Leute sich an diesem Abend aber wohl besonders auf das
zweite Set – also das „Stoner Witch“-Album – gefreut haben war
dann doch recht deutlich spürbar. Muss sagen, dass ich es schon
sehr erstaunlich fand, wie sehr die vier Sets an den beiden
Abenden jeweils eine sehr eigene Dynamik und unterschiedliche
Atmosphäre entwickelten. Und ja: rein stimmungstechnisch war
das „Stoner Witch“-Set das wohl am enthusiastischsten
abgefeierte Set dieser zwei Nächte. „Revolve“, „Roadbull“, „At
the stake“ und das unglaubliche „Shevil“, was soll man da noch
groß sagen?
Fazit # 3: Auch der zweite Abend war
natürlich eine ziemlich fette Ladung. Dass die Kombination aus
sperrigem früh-90er-Zeugs im ersten und Major-Album-Hits im
zweiten Set richtig gut funktioniert war ja schon am Vorabend
ziemlich offensichtlich, wurde aber zum „Stoner Witch“-Finale
dann auch wirklich komplett abgefeiert.
Schlusswort: die Melvins innerhalb einer
Woche mit fünf verschiedenen Sets an drei Abenden erleben zu
dürfen und nebenbei noch eine halbstündige Privat-Audienz mit
Buzz und Dale eingerichtet zu bekommen ist dann doch relativ
„priceless“.
Many thanks to Lauren Barley and Dave Curran for
organizing this unforgettable experience and being so kindly
helpful in any possible way!
PatShlim