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BEGGAR'S BRIDE - DAS VOLLSTÄNDIGE INTERVIEW MIT HOLGGY

Das Preis-Leistungsverhältnis in der heutigen Rockmusik ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Oft bekommen wir Platten, die wurden nur als Mittel zum Zweck gemacht, um wieder auf Tour gehen zu können. HOLGGY BEGG bürstet da mit seinem Langzeit-Projekt BEGGAR’S BRIDE konsequent gegen den Strich. Genau genommen macht er das unvernünftigste, was man heute als Musiker machen kann: Aufwändig produzierte Konzeptalben, die live ihr Geld gar nicht einspielen können, weil sie mit Hilfe prominenter Gastmusiker sehr analog klingend aufgenommen wurden. Er vermischt Classic Rock mit Progressive, erzählt Geschichten mit rotem Faden, die nur als Gesamtwerk wirken und die Audio-Bandbreite ist so groß, dass man auf einer Tour mindestens zehn Musiker und einen Truck voller Instrumente bräuchte. Wer aber das leidenschaftliche Herzblut des 70er-Jahre Artrocks mag, wer sich zum Anhören von Platten auch mal extra dafür einen Abend Zeit mit einer Flasche Wein nimmt und wer im Plattenregal Sachen wie The Who, Wishbone Ash und die Konzeptalben von Pink Floyd oder etwas Krautrock stehen hat, ist mit Holggys neuestem Werk sehr gut bedient. Grob gesagt, das Burg Herzberg-Umfeld... Über eine Stunde erzählen auf dem aktuellen Album Holggy und sein langjähriger Weggefährte Michael Voss (kennt man aus der Melodicrockecke) zusammen mit Gastmusikern wie Mark Schulman von Foreigner, Don Airey von Purple oder Molly Duncan von der Average White Band die Geschichte eines alternden Rockstars, der nicht geschnallt hat, dass ihm unbemerkt Ruhm und Geld abhanden gekommen sind. Erst durch die Liebe zur Musik und einer Frau schwillt ihm die durch Dekadenz angefutterte Schwarte wieder zurück, so dass er langsam wieder Gefühle statt Taubheit erleben kann. Wir sprachen mit Holggy über das neue Album, Rockstarattitüden und guten wein und lassen es uns natürlich nicht nehmen, Euch das Interview in der Komplettversion nochmals nachzuschießen. Viel Spaß!
BEGGAR'S BRIDE - DAS VOLLSTÄNDIGE INTERVIEW MIT HOLGGY
.rcn: Als Musiker ist es wichtig, eine Fangemeinde zu haben, die dir vertraut. Ist das bei dir der Fall?

Holggy: Ja! Es wäre auch schlecht, wenn das nach dem fünften Album nicht so wäre. Die Fans vertrauen mir ja insofern, als dass das, was ich tue, meistens Projektcharakter hatte. Dass Beggar’s Bride live auftreten, also dass man die Fans auch wirklich sieht, ist nur in begrenztem Rahmen möglich. Durch die Projektform, also dass wir mit verschiedensten Leuten zusammenarbeiten, ist es im Prinzip gar nicht möglich, das häufiger auf den Weg zu bringen. Ich möchte da nichts versprechen, aber wir versuchen, diesen Herbst etwas zu machen und zu schauen, dass wir irgendwo vielleicht als Support spielen können. Sonst ist das nicht zu stemmen. Und wir wollen schauen, ob bei Festivals etwas geht. Das ist aber natürlich auch davon abhängig, wie die neue Platte ankommt.

.rcn: In den letzten Jahren waren Bands wie Uriah Heep etc. wieder vermehrt auf Tour. Beggar’s Bride fällt musikalisch ja in eine änhliche Kategorie...

Holggy: Genau, das ist so die Ecke oder Schublade. Das ist dieses ganze Burg-Herzberg-Umfeld. Wenn da Manni Neumeier auftritt oder Jane oder Eloy – das könnte auch dazu passen.

.rcn: Projekte mit Beteiligung von Michael Voss werden im Normalfall eher der Melodic-Rock-Ecke zugeordnet. Euer neues Album ist aber astreiner Classic Rock...

Holggy: Durch Michael Voss wird das natürlich immer in diese Ecke gerückt. Aber ich denke, Vossi ist froh, dass er aus dieser Ecke auch einmal herauskommt, dass er einfach seine ganzen Fähigkeiten, alles, was er auf dem Schirm hat, einbringen kann. Sowohl produktionstechnisch als auch eben spielerisch. Er spielt die Leadgitarre und er singt die meisten Vocals. Und das ist auch ganz gut, ich bin nämlich kein Melodic-Rocker. Er setzt das genauso um, wie ich es mir vorstelle.

.rcn: Hast du mit den ganzen Beggar’s-Bride-Geschichten auch von Magazinen wie Good Times und Eclipsed Feedback bekommen?

Holggy: Die einzigen Anknüpfungspunkte zu Vossi waren im Rock It!-Magazin. Für die anderen Magazine wie Good Times und Eclipsed habe ich die Interviews gegeben. Und da ist Vossi mit seiner Band Mad Max ja nicht so vertreten.

.rcn: Für einen Schweizer hörst Du dich ziemlich norddeutsch an. Kannst Du uns etwas über deinen biographischen Werdegang erzählen?

Holggy: Ich bin in Norddeutschland beziehungsweise Nordwestdeutschland geboren. In Wesel am Niederrhein. Ich habe in Westberlin studiert, aber ich bin Schweizer. Was die Musik anbelangt: In den 70er und 80er Jahren habe ich deutschsprachigen Folk Rock gemacht. In den 90er Jahren habe ich dann Alternative Rock in einer Schweizer Band gespielt. Und der einzige, der mir aus meiner damaligen Band verblieben ist – obwohl ich mit den anderen auch noch freundschaftlich verbandelt bin –, ist Fritz Schneider, der bei uns die akustische Gitarre spielt. Seit 2004 ungefähr hat sich dann das mit Beggar’s Bride entwickelt. Das erste Album ist 2006 erschienen. Das war in etwa die Entwicklung im letzten Jahrzehnt. Ansonsten habe ich auch noch andere Projekte, teilweise ebenfalls gemeinsam mit Vossi. Wir waren beispielweise vor zwei Jahren zusammen auf einer Clubtour. Mad Max haben als Hauptgruppe gespielt und dann war da noch diese Vorband aus Zürich mit dabei, bei der ich Rhythmusgitarre gespielt habe. Wir waren 14 Tage auf Tour. Ich mache außerdem noch diverse andere Projekte mit Vossi, aber auch einiges alleine. Zum Beispiel im Hörbuchbereich.

.rcn: Euer neues Album ist wieder ein Konzeptalbum. Woher nehmt Ihr die Geschichten für Eure Platten?

Holggy: Ich würde sagen, die kommen aus der eigenen Vergangenheit und aus dem eigenen Erfahrungsschatz. Wobei die Idee, dass ein Rockstar abdriftet, ja gar nicht so neu ist. Woran mir nur lag: Ich wollte nicht, dass nachher Friede, Freude Eierkuchen herrscht und wir ein Hollywood-Ende haben. Ich wollte, dass der Protagonist nach Ablauf einer Zeitperiode – in diesem Fall haben wir die Geschichte von Januar bis Dezember gestrickt – die Option hat: Vielleicht hat er was daraus gelernt, vielleicht hat er nichts daraus gelernt. Das lassen wir offen.

.rcn: In gewisser weise ist das ja ein weit verbreitetes Thema in der Rockmusik, dass der Erfolg die Psyche der Musiker beeinflusst. Wie ist das bei Dir? Bist Du selbst da mit zunehmendem Alter ruhiger geworden?

Holggy: Das ist richtig. Wenn man früher auf Tour gegangen ist, hat man so etwas manchmal bei anderen beobachtet – oder vielleicht auch bei sich selbst. Dabei geht es doch einfach nur um Musik. Da müssen wir doch kein Fass aufmachen oder den Fernseher aus dem Hotelfenster werfen. Mit der Zeit hat sich einfach herauskristallisiert, dass es um die Musik geht, dass alle daran Spaß haben sollen. Und an meiner Musik muss auch ich selbst Spaß haben können. Das kann ich nicht, wenn ich dabei abgelenkt werde durch irgendwelches Gehabe oder Statusdenken. Das ist mir persönlich relativ fern.

.rcn: Studiozeit kostet viel Geld. Habt Ihr ein eigenes Studio oder wie geht Ihr vor, um sparsam zu arbeiten?

Holggy: Der technische Anspruch, Musik auf internationalem Niveau zu machen, ist bei uns natürlich da. Dafür braucht man ein gutes Studio und da teilen wir ein bisschen die Ressourcen. Ich habe beispielsweise ein kleines Studio in meinem Haus in der Schweiz, wo man allerdings kein Schlagzeug aufnehmen kann, und Michael Voss hat sein Studio in Münster. Große Teile haben wir hier aufgenommen, bei ihm haben wir alles abgemischt. Gemastert haben wir bei Christoph Stickel in den MSM Studios in München. Was man dazusagen muss: Bei den Drums von Mark Schulman haben wir die Files in die USA geschickt, weil er zu diesem Zeitpunkt nicht da war. Und die Files für die Aufnahme des Duetts von Michi Voss zusammen mit Sass Jordan wurden nach Kanada geschickt. Ich war natürlich sehr froh und dankbar, dass Sass sich bereit erklärt hat, mitzumachen. Das waren aber die einzigen Parts, die nicht bei mir oder in Münster aufgenommen wurden.

.rcn: Wenn Du Gastmusiker für deine Projekte suchst, basiert das dann immer auf Freundschaften?

Holggy: Grundsätzlich ja. Ich hatte schon andere Projekte und habe beispielsweise vor zehn Jahren einen amerikanischen Künstler beim Aufbau seiner Solo-Karriere gemanagt – das war Oni Logan von Lynch Mob. Und da habe ich einige Leute kennengelernt, mit denen ich auch freundschaftlich verbunden bin, zum Beispiel Don Airey von Deep Purple. Wenn der in der Schweiz auf Tour ist, kommt er immer hier in St. Gallen vorbei und wir unternehmen etwas, gehen essen und reden miteinander. Alles völlig entspannt, ganz locker. Und auch bei anderen Personen wie Molly Duncan oder Mark Schulman, wo man sich sieht und sich schreibt, ist das überhaupt kein Problem. Zu Sass Jordan ist die Verbindung über Michael Voss zustande gekommen, der mit Brian Tichy, dem Tour-Drummer von Whitesnake, zu tun hatte. Michael hatte gehört, dass Brian an einer Produktion mit Sass Jordan arbeitete. Ich vermute mal, dass sich all diese Leute auch freuen, wenn sie einfach einmal etwas anderes machen können.

.rcn: Das fertige Album hat auch Hand und Fuß. Da wissen die Gastmusiker dann auch, dass sie ihren Namen dafür hergeben können...

Holggy: Das kann ich nur bestätigen. Andernfalls würde man diese Leute wahrscheinlich gar nicht bekommen. Oder der Preis wäre horrend. Und das, was ich bezahle, ist einfach ein Freundschaftsdienst. Ich zahle die Kosten für Übernachtungen und solche Dinge, aber ich zahle keine großen Gagen. Das ginge gar nicht. Ich kann Don Airey kein Klavier kaufen. Aber es läuft immer sehr angenehm ab. Die Verhältnismäßigkeit finde ich gut.

.rcn: In gewisser weise ist das ja auch ein Merkmal der Kunst. Man liefert ja keine Dienstleistung wie im Handwerk zum Beispiel...

Holggy: Ja, und Qualität ist sicher auch ein Kriterium. Und du musst für das stehen, was du tust, und seriös sein. Sonst wäre das gar nicht möglich.

.rcn: Wir haben im Vorfeld ja ausgemacht, dass jeder beim Telefon-Interview ein Getränk bei sich stehen hat. Habe mein Bier offen vor mir. Was macht dein Merlot?

Holggy: Ich bin gerade so schnell zur Tür rein, dass ich ihn noch nicht aufgemacht habe . Aber ich habe einen Tessiner Merlot. Hier gibt es eine Firma, die heißt Angelo Delea, die kommt aus der Nähe von Locarno, aus Losone. Die machen einen traumhaften Merlot, der bei Blindverköstigungen sehr gut abschneidet. Ich liebe diesen Merlot einfach. Er heißt Carato. Wenn du den mal irgendwo siehst oder irgendeinen anderen Merlot von Angelo Delea – also der ist einfach traumhaft. Welchen Wein bevorzugst du?

.rcn: Bier.

Holggy: Da kann ich nicht mitreden . Mit Vossi war ich kürzlich in Cannes. Da gab es Heineken, Carlsberg und Tuborg.

.rcn: Das läuft bei uns nicht als "Bier". Franken ist ja gewissermaßen das Mutterland des Bieres, wir haben hier die höchste Brauereidichte der Welt...

Holggy: Kannst Du mir noch einen Biertipp aus Deiner Gegend geben, falls ich mal dort bin?

.rcn: Das ist eigentlich egal, es sollten nur nicht die gängigen Großmarken sein, sondern bestell einfach "Landbier" aus kleineren Brauereien..

Holggy: Ich habe mir den Tipp notiert. Herzlichen Dank .

.rcn: Vor einiger Zeit ist ja der Film "Blood Into Wine" erschienen, in dem der Tool-Sänger Maynard James Keenan, der selbst ja ebenfalls Wein produziert, über Wein philosophiert und dann einen Rückbezug zu seiner Kunst herstellt. Kann man das Deiner Meinung nach tatsächlich vergleichen?

Holggy: Ja, das würde ich schon sagen. Ich selbst bin ja kein Weinhersteller oder Abfüller, aber das ist ebenfalls ein kreativer Prozess. Du versuchst ja, etwas herzustellen und einen Geschmack, ein bestimmtes Bouquet so hinzubekommen, wie du es dir vorgestellt hast. Das ist schon vergleichbar mit Musik. Da hast du auch zuerst eine Idee, suchst dir die einzelnen Zutaten zusammen, probierst, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen, verschiedene Sachen aus und versuchst, das alles in ein passendes Verhältnis zu bringen. Auch wenn ein Song zu Ende ist, willst du ja, dass ein guter Geschmack zurückbleibt. Das finde ich schon vergleichbar.

.rcn: In unserer schnelllebigen Zeit, in der man immer erreichbar sein muss, gerät man manchmal fast in eine Art Tunnel. Musik bietet da eine gute Möglichkeit, abzuschalten. Allerdings muss man sich Zeit dafür nehmen können, wie für einen guten Wein...

Holggy: Das sehe ich genauso. Bei dieser ganzen Schnelllebigkeit, wer nimmt sich da die Zeit, Musik zu machen oder sich mit einem Wein zu beschäftigen, sich dabei zu unterhalten oder sich auszutauschen? Da steckt eine gewisse Lebensphilosophie dahinter, die einen über die Alltagshektik erhebt.

.rcn: Wie beurteilst Du als Schweizer eigentlich die aktuellen Geschehnisse in Europa?

Holggy: Nunja, die Schweiz ist so ein bisschen wie der letzte Mohikaner. Wir haben grundsätzlich eine neutrale Position, aber da unser Markt zu 60% in Deutschland ist beziehungsweise in der EU und den USA, können wir uns da einfach nicht außen vor lassen. Beim Währungsfond zahlen wir mit, bei anderen Sachen zahlen wir mit – wir müssen natürlich schauen, dass wir da keinen vor den Kopf stoßen, sondern auf unsere Handelspartner und unsere Nachbarländer auch zugehen. Dadurch wird unsere Neutralität in gewisser Weise natürlich eingeschränkt, aber ich denke, das ist eher positiv. Es versucht ja keiner, uns die Kuhglocken wegzunehmen. Ich denke, in der Globalisierung kann sich auch ein neutrales Land dem nicht ganz entziehen. Da wir aber außerhalb der EU stehen, habe ich natürlich einen anderen Blickwinkel als jemand aus Frankreich, Italien oder Deutschland zum Beispiel. Aber das fängt ja schon bei der Musik an, dass wir uns dem nicht verschließen können. Für Rockmusik ist die Schweiz kein Markt. Der Markt ist ganz klar Deutschland.

.rcn: Bewegst du dich selbst ausschließlich in der Schweiz oder bist du auch mal unterwegs? Eure Alben drehen sich oft um Amerika. Ist das auch ein Ziel für dich?

Holggy: Ja, die USA natürlich! Die letzte Platte hieß ja auch „On A Trip To L.A.“. Da steckt auch eine Geschichte dahinter, eine Art Road Movie, wo jemand von der Ostküste zur Westküste fährt. Ich habe mir einfach überlegt, wem man auf so einem Trip begegnet, woraus man einen Song machen kann. Die USA sind für mich ganz klar ein Reiseziel. Aber es gibt natürlich auch Reisen geschäftlicher oder musikalischer Natur. Man kommt schon raus aus der Schweiz. Durch die Projekte mit Vossi bin ich alle 4 oder 6 Wochen bei ihm in Münster, wenn er nicht gerade hier ist. Das liegt auch an der Form der Zusammenarbeit. Wir denken, bevor wir irgendwas anfangen, müssen wir uns erst einmal persönlich treffen und einen Entwurf machen. Man kann sich nicht alles nur hin- und herschicken. Das macht keinen Sinn und ist auch zu unpersönlich, finde ich. Im Endeffekt muss man miteinander gesprochen haben, um etwas genau zu fixieren. Deutschland ist für mich auf jeden Fall Geschäftsland und auch Reiseland. Es gibt dort ja sehr viele schöne Ecken. Norddeutschland, das Münsterland, der Niederrhein – Süddeutschland hat ebenfalls wunderschöne Ecken. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll.

.rcn: Würde man alles sehen wollen, müsste man ja sein ganzes Leben lang unterwegs sein...

Holggy: Genau. Und so ergeben sich eben persönliche Schwerpunkte. Nur zweieinhalb Stunden von hier ist das Tessin. Das ist einfach traumhaft. Auch der Wein. Als wäre man in den Ferien. Wenn du in den Nachrichten siehst, dass im Süden schönes Wetter ist, kannst du abends zweieinhalb Stunden hinfahren, mietest dir ein Apartment bis Montagmorgen und fährst montags um fünf wieder zurück, um irgendwann um acht oder neun deinen Geschäften im Büro nachzugehen oder eben eine Aufnahmesession zu machen. Diese kurzen Distanzen zwischen den verschiedenen Klimazonen liebe ich sehr an der Schweiz. In einer Stunde kann man von hier aus in die größten Ski-Gebiete fahren. In Deutschland sind die Distanzen größer.

.rcn: Gerade die USA sind in den Medien ja auch immer präsent, während man aus gegenden wie Südamerika nur selten etwas mitbekommt. Gerade auch in der Musik hat man sich immer stark an den USA orientiert. Ist das bei Dir auch der Fall?

Holggy: Schwer zu sagen. Ich hätte gesagt, in den 60er Jahren sind die Inputs über die Hafenstadt Liverpool aus den USA nach England gekommen, wo sich dann die englische Musikkultur mit diesen amerikanischen Einflüssen gemischt hat. In Deutschland war es so, dass nach dieser allgemeinen Popmusik und nach dem Beat-Klub Anfang der 70er Jahre Udo Lindenberg kam und deutsch gesungen hat, woraus sich dann eine deutsche Rockszene entwickelt hat, die man als Krautrock bezeichnet und die vielleicht eher Underground war. Da gab es zum Beispiel Amon Düül II, zum Beispiel „Yeti Talks To Yogi“ oder die Rückseite „Yogi Talks To Yeti“, wo man gesehen hat, dass da etwas vermittelt werden sollte. In England war das kommerzieller. Sachen wie Pink Floyd zum Beispiel. Von den amerikanischen Bands sind meine persönlichen größten Einflüsse Bands wie Jefferson Airplane, eine meiner Lieblingsbands, aber auch Love, die Doors, die Birds oder Creedence Clearwater. Das sind Sachen, die ich liebe. Der ganze Westküsten-Sound. Vielleicht ist es aber tatsächlich so, dass wir hier von Europa aus gar nicht mehr so in Richtung USA schielen, weil es dort mittlerweile viele Sachen gibt, die völlig kommerzialisiert sind. Zum Beispiel Michael Jackson, Lady Gaga und ähnliches. So etwas berührt mich nicht. Dass amerikanische Musiker Weltklasse sind, ist keine Frage. Nur die Musik berührt mich eben nicht mehr. Kürzlich habe ich gelesen, dass das, was im deutschsprachigen Raum in Radioshows gesendet wird, zu 60% amerikanische Musik ist, zu 20% Musik aus dem UK kommt, zu etwa 10% aus Resteuropa und nur zu 10% deutschsprachig ist. Daran kann man sehen, dass die Medien immer noch fixiert sind auf die traditionellen Märkte, die wir schon seit den 60er Jahren haben. Die Frage, die ich mir in meiner Lebensphase mit meinem Hintergrund immer stelle, ist einfach: Beeinflusst mich das weiter? Löse ich mich davon völlig los? Es gibt immer irgendwelche neuen Supergroups oder Leute, die gut zusammenspielen. Aber es ist schwierig zu sagen, was das für einen Einfluss auf mich hat. Für mich lässt er wohl eher nach.

.rcn: Als Musikjournalist wird man ja von der Industrie bedient. Das, was man zugeschickt bekommt, ist dann natürlich vorgefiltert. Das war in manchen Zeiten schon schwierig, ist mittlerweile aber wieder recht spannend, vor allem auch deshalb, weil viel qualitativ hochwertige Musik dabei ist. Vor allem entsteht da eine völlig neue Generation von Musikern, die Beatsteaks beispielweise...

Holggy: Da hast du recht, da wird schon irgendwie die Fackel weitergegeben, wenn die Ärzte bei ihren Konzerten auf die Beatsteaks hinweisen. Die Toten Hosen sind mittlerweile ja schon Dinosaurier, die haben aber einfach ihr Ding durchgezogen. Genau wie Udo Lindenberg, der ja heute mit frischen jungen Musikern wieder die Hitparaden stürmt.

.rcn: Und gerade Metal-Altstars wie Udo oder Accept haben ja auch immer noch etwas zu sagen...

Holggy: Ganz genau. Da bin ich schwer beeindruckt. Und du hast recht. Es gibt aus Deutschland nicht mehr nur die Scorpions. Da gibt es mittlerweile auch andere Bands. Vielleicht ist es natürlich gerade für Journalisten dann auch schwieriger, weil eben viel mehr Masse da ist. Früher gab es Veröffentlichungen von Bands, auf die alle hingefiebert haben. Bei The Who zum Beispiel. Heute muss man sich nur einmal anschauen, wie viele Veröffentlichungen an einem einzigen Tag kommen. Das ist gar nicht mehr nachvollziehbar. Der Journalist muss das dann wahrscheinlich sortieren und irgendwie zugänglich machen, mir in aller Sachlichkeit und mit Kompetenz etwas zuführen, sodass ich entscheiden kann, was ich damit anfangen soll. Ich als End-User, der Musik konsumiert, kann ja gar nicht alle Bands durchhören. Ich könnte natürlich hingehen und sagen, ich höre mir das mal im Internet an oder höre mir mp3s an, aber das ist einfach nicht meine Generation. Ich möchte ein Album hören. Ich möchte eine Aussage von den Künstlern haben, ich möchte wissen, was mir der Künstler sagen will, was das für mich bewirkt. Aber dieses traditionelle Album-Hören macht heute auch nicht mehr jeder. Man nimmt sich gar nicht mehr die Zeit. Das ist eben auch wieder das Problem der Schnelllebigkeit.

.rcn: gerade Rockmusik hat aber immer noch häufig Albumcharakter...

Holggy: Ja, das denke ich auch. In der Rockmusik gibt es offensichtlich ein sehr treues Zielpublikum für physische Datenträger. Diejenigen, die Rock lieben, kaufen sich auch noch ein Album. Scheinbar ist es sogar so, dass die Leute immer seltener mp3s hören, je härter der Rock wird. Dieses Publikum kauft sich eher eine CD oder eine Platte. Unser drittes Album, „Rockin’ The Pumpkin“, haben wir auch als Schallplatte veröffentlicht. Wir haben 500 Stück hergestellt, haben 300 verkaufen können und den Rest im Freundeskreis oder bei den Musikern verteilt. Das kann man aber nicht bei jeder Platte machen.

.rcn: Danke für das Gespräch! Bei Interviews ist es natürlich wie bei Musik: Für das fertige Magazin oder das fertige Album muss man natürlich einiges kürzen oder herausnehmen. Aber da bietet das Internet eben den Vorteil, das Interview nochmals komplett anzubieten...

Holggy: Ja, danke, hat mich sehr gefreut! Abschließend möchte ich nur noch sagen, dass ich das Ganze in der heutigen Zeit und nach den ganzen letzten Jahren mit Beggar’s Bride ein bisschen so sehe wie ein Maler sein Bild sieht. Ich gebe anderen eine Interpretationshilfe, aber jeder kann in dem Bild etwas anderes sehen. Ich kann jederzeit ein neues Bild malen und wieder von vorne anfangen. Ich kann sagen: Okay, das mache ich jetzt so ähnlich, ich kann aber auch sagen: Jetzt mache ich etwas völlig anderes. Es muss irgendwann einen Abschluss geben, nicht, dass ich jahrelang an einem Album herumexperimentiere. Bis ich ein Album fertig habe, inklusive Songwriting, dauert es ungefähr ein Jahr. Das ist für mich eine Momentaufnahme. Wenn das abgeschlossen ist, dann stehe ich zu jedem Ton, den du darauf hörst. Egal wie gut, intensiv oder unausgearbeitet der auch sein mag.

Interview: Ewald Funk, Bearbeitung: Jochen Albrecht