.rcn: Als Musiker ist es wichtig, eine
Fangemeinde zu haben, die dir vertraut. Ist das bei dir der
Fall?
Holggy: Ja! Es wäre auch schlecht, wenn das
nach dem fünften Album nicht so wäre. Die Fans vertrauen mir ja
insofern, als dass das, was ich tue, meistens Projektcharakter
hatte. Dass Beggar’s Bride live auftreten, also dass man die
Fans auch wirklich sieht, ist nur in begrenztem Rahmen möglich.
Durch die Projektform, also dass wir mit verschiedensten Leuten
zusammenarbeiten, ist es im Prinzip gar nicht möglich, das
häufiger auf den Weg zu bringen. Ich möchte da nichts
versprechen, aber wir versuchen, diesen Herbst etwas zu machen
und zu schauen, dass wir irgendwo vielleicht als Support
spielen können. Sonst ist das nicht zu stemmen. Und wir wollen
schauen, ob bei Festivals etwas geht. Das ist aber natürlich
auch davon abhängig, wie die neue Platte ankommt.
.rcn: In den letzten Jahren waren Bands wie
Uriah Heep etc. wieder vermehrt auf Tour. Beggar’s Bride fällt
musikalisch ja in eine änhliche Kategorie...
Holggy: Genau, das ist so die Ecke oder
Schublade. Das ist dieses ganze Burg-Herzberg-Umfeld. Wenn da
Manni Neumeier auftritt oder Jane oder Eloy – das könnte auch
dazu passen.
.rcn: Projekte mit Beteiligung von Michael
Voss werden im Normalfall eher der Melodic-Rock-Ecke
zugeordnet. Euer neues Album ist aber astreiner Classic Rock...
Holggy: Durch Michael Voss wird das natürlich
immer in diese Ecke gerückt. Aber ich denke, Vossi ist froh,
dass er aus dieser Ecke auch einmal herauskommt, dass er
einfach seine ganzen Fähigkeiten, alles, was er auf dem Schirm
hat, einbringen kann. Sowohl produktionstechnisch als auch eben
spielerisch. Er spielt die Leadgitarre und er singt die meisten
Vocals. Und das ist auch ganz gut, ich bin nämlich kein
Melodic-Rocker. Er setzt das genauso um, wie ich es mir
vorstelle.
.rcn: Hast du mit den ganzen
Beggar’s-Bride-Geschichten auch von Magazinen wie Good Times
und Eclipsed Feedback bekommen?
Holggy: Die einzigen Anknüpfungspunkte zu
Vossi waren im Rock It!-Magazin. Für die anderen Magazine wie
Good Times und Eclipsed habe ich die Interviews gegeben. Und da
ist Vossi mit seiner Band Mad Max ja nicht so vertreten.
.rcn: Für einen Schweizer hörst Du dich
ziemlich norddeutsch an. Kannst Du uns etwas über deinen
biographischen Werdegang erzählen?
Holggy: Ich bin in Norddeutschland
beziehungsweise Nordwestdeutschland geboren. In Wesel am
Niederrhein. Ich habe in Westberlin studiert, aber ich bin
Schweizer. Was die Musik anbelangt: In den 70er und 80er Jahren
habe ich deutschsprachigen Folk Rock gemacht. In den 90er
Jahren habe ich dann Alternative Rock in einer Schweizer Band
gespielt. Und der einzige, der mir aus meiner damaligen Band
verblieben ist – obwohl ich mit den anderen auch noch
freundschaftlich verbandelt bin –, ist Fritz Schneider, der bei
uns die akustische Gitarre spielt. Seit 2004 ungefähr hat sich
dann das mit Beggar’s Bride entwickelt. Das erste Album ist
2006 erschienen. Das war in etwa die Entwicklung im letzten
Jahrzehnt. Ansonsten habe ich auch noch andere Projekte,
teilweise ebenfalls gemeinsam mit Vossi. Wir waren
beispielweise vor zwei Jahren zusammen auf einer Clubtour. Mad
Max haben als Hauptgruppe gespielt und dann war da noch diese
Vorband aus Zürich mit dabei, bei der ich Rhythmusgitarre
gespielt habe. Wir waren 14 Tage auf Tour. Ich mache außerdem
noch diverse andere Projekte mit Vossi, aber auch einiges
alleine. Zum Beispiel im Hörbuchbereich.
.rcn: Euer neues Album ist wieder ein
Konzeptalbum. Woher nehmt Ihr die Geschichten für Eure Platten?
Holggy: Ich würde sagen, die kommen aus der
eigenen Vergangenheit und aus dem eigenen Erfahrungsschatz.
Wobei die Idee, dass ein Rockstar abdriftet, ja gar nicht so
neu ist. Woran mir nur lag: Ich wollte nicht, dass nachher
Friede, Freude Eierkuchen herrscht und wir ein Hollywood-Ende
haben. Ich wollte, dass der Protagonist nach Ablauf einer
Zeitperiode – in diesem Fall haben wir die Geschichte von
Januar bis Dezember gestrickt – die Option hat: Vielleicht hat
er was daraus gelernt, vielleicht hat er nichts daraus gelernt.
Das lassen wir offen.
.rcn: In gewisser weise ist das ja ein weit
verbreitetes Thema in der Rockmusik, dass der Erfolg die Psyche
der Musiker beeinflusst. Wie ist das bei Dir? Bist Du selbst da
mit zunehmendem Alter ruhiger geworden?
Holggy: Das ist richtig. Wenn man früher auf
Tour gegangen ist, hat man so etwas manchmal bei anderen
beobachtet – oder vielleicht auch bei sich selbst. Dabei geht
es doch einfach nur um Musik. Da müssen wir doch kein Fass
aufmachen oder den Fernseher aus dem Hotelfenster werfen. Mit
der Zeit hat sich einfach herauskristallisiert, dass es um die
Musik geht, dass alle daran Spaß haben sollen. Und an meiner
Musik muss auch ich selbst Spaß haben können. Das kann ich
nicht, wenn ich dabei abgelenkt werde durch irgendwelches
Gehabe oder Statusdenken. Das ist mir persönlich relativ fern.
.rcn: Studiozeit kostet viel Geld. Habt Ihr
ein eigenes Studio oder wie geht Ihr vor, um sparsam zu
arbeiten?
Holggy: Der technische Anspruch, Musik auf
internationalem Niveau zu machen, ist bei uns natürlich da.
Dafür braucht man ein gutes Studio und da teilen wir ein
bisschen die Ressourcen. Ich habe beispielsweise ein kleines
Studio in meinem Haus in der Schweiz, wo man allerdings kein
Schlagzeug aufnehmen kann, und Michael Voss hat sein Studio in
Münster. Große Teile haben wir hier aufgenommen, bei ihm haben
wir alles abgemischt. Gemastert haben wir bei Christoph Stickel
in den MSM Studios in München. Was man dazusagen muss: Bei den
Drums von Mark Schulman haben wir die Files in die USA
geschickt, weil er zu diesem Zeitpunkt nicht da war. Und die
Files für die Aufnahme des Duetts von Michi Voss zusammen mit
Sass Jordan wurden nach Kanada geschickt. Ich war natürlich
sehr froh und dankbar, dass Sass sich bereit erklärt hat,
mitzumachen. Das waren aber die einzigen Parts, die nicht bei
mir oder in Münster aufgenommen wurden.
.rcn: Wenn Du Gastmusiker für deine Projekte
suchst, basiert das dann immer auf Freundschaften?
Holggy: Grundsätzlich ja. Ich hatte schon
andere Projekte und habe beispielsweise vor zehn Jahren einen
amerikanischen Künstler beim Aufbau seiner Solo-Karriere
gemanagt – das war Oni Logan von Lynch Mob. Und da habe ich
einige Leute kennengelernt, mit denen ich auch freundschaftlich
verbunden bin, zum Beispiel Don Airey von Deep Purple. Wenn der
in der Schweiz auf Tour ist, kommt er immer hier in St. Gallen
vorbei und wir unternehmen etwas, gehen essen und reden
miteinander. Alles völlig entspannt, ganz locker. Und auch bei
anderen Personen wie Molly Duncan oder Mark Schulman, wo man
sich sieht und sich schreibt, ist das überhaupt kein Problem.
Zu Sass Jordan ist die Verbindung über Michael Voss zustande
gekommen, der mit Brian Tichy, dem Tour-Drummer von Whitesnake,
zu tun hatte. Michael hatte gehört, dass Brian an einer
Produktion mit Sass Jordan arbeitete. Ich vermute mal, dass
sich all diese Leute auch freuen, wenn sie einfach einmal etwas
anderes machen können.
.rcn: Das fertige Album hat auch Hand und
Fuß. Da wissen die Gastmusiker dann auch, dass sie ihren Namen
dafür hergeben können...
Holggy: Das kann ich nur bestätigen.
Andernfalls würde man diese Leute wahrscheinlich gar nicht
bekommen. Oder der Preis wäre horrend. Und das, was ich
bezahle, ist einfach ein Freundschaftsdienst. Ich zahle die
Kosten für Übernachtungen und solche Dinge, aber ich zahle
keine großen Gagen. Das ginge gar nicht. Ich kann Don Airey
kein Klavier kaufen. Aber es läuft immer sehr angenehm ab. Die
Verhältnismäßigkeit finde ich gut.
.rcn: In gewisser weise ist das ja auch ein
Merkmal der Kunst. Man liefert ja keine Dienstleistung wie im
Handwerk zum Beispiel...
Holggy: Ja, und Qualität ist sicher auch ein
Kriterium. Und du musst für das stehen, was du tust, und seriös
sein. Sonst wäre das gar nicht möglich.
.rcn: Wir haben im Vorfeld ja ausgemacht,
dass jeder beim Telefon-Interview ein Getränk bei sich stehen
hat. Habe mein Bier offen vor mir. Was macht dein Merlot?
Holggy: Ich bin gerade so schnell zur Tür
rein, dass ich ihn noch nicht aufgemacht habe . Aber ich
habe einen Tessiner Merlot. Hier gibt es eine Firma, die heißt
Angelo Delea, die kommt aus der Nähe von Locarno, aus Losone.
Die machen einen traumhaften Merlot, der bei
Blindverköstigungen sehr gut abschneidet. Ich liebe diesen
Merlot einfach. Er heißt Carato. Wenn du den mal irgendwo
siehst oder irgendeinen anderen Merlot von Angelo Delea – also
der ist einfach traumhaft. Welchen Wein bevorzugst du?
.rcn: Bier.
Holggy: Da kann ich nicht mitreden .
Mit Vossi war ich kürzlich in Cannes. Da gab es Heineken,
Carlsberg und Tuborg.
.rcn: Das läuft bei uns nicht als "Bier". Franken ist ja
gewissermaßen das Mutterland des Bieres, wir haben hier die
höchste Brauereidichte der Welt...
Holggy: Kannst Du mir noch einen Biertipp aus
Deiner Gegend geben, falls ich mal dort bin?
.rcn: Das ist eigentlich egal, es sollten nur
nicht die gängigen Großmarken sein, sondern bestell einfach
"Landbier" aus kleineren Brauereien..
Holggy: Ich habe mir den Tipp notiert.
Herzlichen Dank .
.rcn: Vor einiger Zeit ist ja der Film "Blood
Into Wine" erschienen, in dem der Tool-Sänger Maynard James
Keenan, der selbst ja ebenfalls Wein produziert, über Wein
philosophiert und dann einen Rückbezug zu seiner Kunst
herstellt. Kann man das Deiner Meinung nach tatsächlich
vergleichen?
Holggy: Ja, das würde ich schon sagen. Ich
selbst bin ja kein Weinhersteller oder Abfüller, aber das ist
ebenfalls ein kreativer Prozess. Du versuchst ja, etwas
herzustellen und einen Geschmack, ein bestimmtes Bouquet so
hinzubekommen, wie du es dir vorgestellt hast. Das ist schon
vergleichbar mit Musik. Da hast du auch zuerst eine Idee,
suchst dir die einzelnen Zutaten zusammen, probierst, um das
gewünschte Ergebnis zu erreichen, verschiedene Sachen aus und
versuchst, das alles in ein passendes Verhältnis zu bringen.
Auch wenn ein Song zu Ende ist, willst du ja, dass ein guter
Geschmack zurückbleibt. Das finde ich schon vergleichbar.
.rcn: In unserer schnelllebigen Zeit, in der
man immer erreichbar sein muss, gerät man manchmal fast in eine
Art Tunnel. Musik bietet da eine gute Möglichkeit,
abzuschalten. Allerdings muss man sich Zeit dafür nehmen
können, wie für einen guten Wein...
Holggy: Das sehe ich genauso. Bei dieser
ganzen Schnelllebigkeit, wer nimmt sich da die Zeit, Musik zu
machen oder sich mit einem Wein zu beschäftigen, sich dabei zu
unterhalten oder sich auszutauschen? Da steckt eine gewisse
Lebensphilosophie dahinter, die einen über die Alltagshektik
erhebt.
.rcn: Wie beurteilst Du als Schweizer
eigentlich die aktuellen Geschehnisse in Europa?
Holggy: Nunja, die Schweiz ist so ein
bisschen wie der letzte Mohikaner. Wir haben grundsätzlich eine
neutrale Position, aber da unser Markt zu 60% in Deutschland
ist beziehungsweise in der EU und den USA, können wir uns da
einfach nicht außen vor lassen. Beim Währungsfond zahlen wir
mit, bei anderen Sachen zahlen wir mit – wir müssen natürlich
schauen, dass wir da keinen vor den Kopf stoßen, sondern auf
unsere Handelspartner und unsere Nachbarländer auch zugehen.
Dadurch wird unsere Neutralität in gewisser Weise natürlich
eingeschränkt, aber ich denke, das ist eher positiv. Es
versucht ja keiner, uns die Kuhglocken wegzunehmen. Ich denke,
in der Globalisierung kann sich auch ein neutrales Land dem
nicht ganz entziehen. Da wir aber außerhalb der EU stehen, habe
ich natürlich einen anderen Blickwinkel als jemand aus
Frankreich, Italien oder Deutschland zum Beispiel. Aber das
fängt ja schon bei der Musik an, dass wir uns dem nicht
verschließen können. Für Rockmusik ist die Schweiz kein Markt.
Der Markt ist ganz klar Deutschland.
.rcn: Bewegst du dich selbst ausschließlich
in der Schweiz oder bist du auch mal unterwegs? Eure Alben
drehen sich oft um Amerika. Ist das auch ein Ziel für dich?
Holggy: Ja, die USA natürlich! Die letzte
Platte hieß ja auch „On A Trip To L.A.“. Da steckt auch eine
Geschichte dahinter, eine Art Road Movie, wo jemand von der
Ostküste zur Westküste fährt. Ich habe mir einfach überlegt,
wem man auf so einem Trip begegnet, woraus man einen Song
machen kann. Die USA sind für mich ganz klar ein Reiseziel.
Aber es gibt natürlich auch Reisen geschäftlicher oder
musikalischer Natur. Man kommt schon raus aus der Schweiz.
Durch die Projekte mit Vossi bin ich alle 4 oder 6 Wochen bei
ihm in Münster, wenn er nicht gerade hier ist. Das liegt auch
an der Form der Zusammenarbeit. Wir denken, bevor wir irgendwas
anfangen, müssen wir uns erst einmal persönlich treffen und
einen Entwurf machen. Man kann sich nicht alles nur hin- und
herschicken. Das macht keinen Sinn und ist auch zu
unpersönlich, finde ich. Im Endeffekt muss man miteinander
gesprochen haben, um etwas genau zu fixieren. Deutschland ist
für mich auf jeden Fall Geschäftsland und auch Reiseland. Es
gibt dort ja sehr viele schöne Ecken. Norddeutschland, das
Münsterland, der Niederrhein – Süddeutschland hat ebenfalls
wunderschöne Ecken. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll.
.rcn: Würde man alles sehen wollen, müsste
man ja sein ganzes Leben lang unterwegs sein...
Holggy: Genau. Und so ergeben sich eben
persönliche Schwerpunkte. Nur zweieinhalb Stunden von hier ist
das Tessin. Das ist einfach traumhaft. Auch der Wein. Als wäre
man in den Ferien. Wenn du in den Nachrichten siehst, dass im
Süden schönes Wetter ist, kannst du abends zweieinhalb Stunden
hinfahren, mietest dir ein Apartment bis Montagmorgen und
fährst montags um fünf wieder zurück, um irgendwann um acht
oder neun deinen Geschäften im Büro nachzugehen oder eben eine
Aufnahmesession zu machen. Diese kurzen Distanzen zwischen den
verschiedenen Klimazonen liebe ich sehr an der Schweiz. In
einer Stunde kann man von hier aus in die größten Ski-Gebiete
fahren. In Deutschland sind die Distanzen größer.
.rcn: Gerade die USA sind in den Medien ja
auch immer präsent, während man aus gegenden wie Südamerika nur
selten etwas mitbekommt. Gerade auch in der Musik hat man sich
immer stark an den USA orientiert. Ist das bei Dir auch der
Fall?
Holggy: Schwer zu sagen. Ich hätte gesagt, in
den 60er Jahren sind die Inputs über die Hafenstadt Liverpool
aus den USA nach England gekommen, wo sich dann die englische
Musikkultur mit diesen amerikanischen Einflüssen gemischt hat.
In Deutschland war es so, dass nach dieser allgemeinen Popmusik
und nach dem Beat-Klub Anfang der 70er Jahre Udo Lindenberg kam
und deutsch gesungen hat, woraus sich dann eine deutsche
Rockszene entwickelt hat, die man als Krautrock bezeichnet und
die vielleicht eher Underground war. Da gab es zum Beispiel
Amon Düül II, zum Beispiel „Yeti Talks To Yogi“ oder die
Rückseite „Yogi Talks To Yeti“, wo man gesehen hat, dass da
etwas vermittelt werden sollte. In England war das
kommerzieller. Sachen wie Pink Floyd zum Beispiel. Von den
amerikanischen Bands sind meine persönlichen größten Einflüsse
Bands wie Jefferson Airplane, eine meiner Lieblingsbands, aber
auch Love, die Doors, die Birds oder Creedence Clearwater. Das
sind Sachen, die ich liebe. Der ganze Westküsten-Sound.
Vielleicht ist es aber tatsächlich so, dass wir hier von Europa
aus gar nicht mehr so in Richtung USA schielen, weil es dort
mittlerweile viele Sachen gibt, die völlig kommerzialisiert
sind. Zum Beispiel Michael Jackson, Lady Gaga und ähnliches. So
etwas berührt mich nicht. Dass amerikanische Musiker Weltklasse
sind, ist keine Frage. Nur die Musik berührt mich eben nicht
mehr. Kürzlich habe ich gelesen, dass das, was im
deutschsprachigen Raum in Radioshows gesendet wird, zu 60%
amerikanische Musik ist, zu 20% Musik aus dem UK kommt, zu etwa
10% aus Resteuropa und nur zu 10% deutschsprachig ist. Daran
kann man sehen, dass die Medien immer noch fixiert sind auf die
traditionellen Märkte, die wir schon seit den 60er Jahren
haben. Die Frage, die ich mir in meiner Lebensphase mit meinem
Hintergrund immer stelle, ist einfach: Beeinflusst mich das
weiter? Löse ich mich davon völlig los? Es gibt immer
irgendwelche neuen Supergroups oder Leute, die gut
zusammenspielen. Aber es ist schwierig zu sagen, was das für
einen Einfluss auf mich hat. Für mich lässt er wohl eher nach.
.rcn: Als Musikjournalist wird man ja von der
Industrie bedient. Das, was man zugeschickt bekommt, ist dann
natürlich vorgefiltert. Das war in manchen Zeiten schon
schwierig, ist mittlerweile aber wieder recht spannend, vor
allem auch deshalb, weil viel qualitativ hochwertige Musik
dabei ist. Vor allem entsteht da eine völlig neue Generation
von Musikern, die Beatsteaks beispielweise...
Holggy: Da hast du recht, da wird schon
irgendwie die Fackel weitergegeben, wenn die Ärzte bei ihren
Konzerten auf die Beatsteaks hinweisen. Die Toten Hosen sind
mittlerweile ja schon Dinosaurier, die haben aber einfach ihr
Ding durchgezogen. Genau wie Udo Lindenberg, der ja heute mit
frischen jungen Musikern wieder die Hitparaden stürmt.
.rcn: Und gerade Metal-Altstars wie Udo oder
Accept haben ja auch immer noch etwas zu sagen...
Holggy: Ganz genau. Da bin ich schwer
beeindruckt. Und du hast recht. Es gibt aus Deutschland nicht
mehr nur die Scorpions. Da gibt es mittlerweile auch andere
Bands. Vielleicht ist es natürlich gerade für Journalisten dann
auch schwieriger, weil eben viel mehr Masse da ist. Früher gab
es Veröffentlichungen von Bands, auf die alle hingefiebert
haben. Bei The Who zum Beispiel. Heute muss man sich nur einmal
anschauen, wie viele Veröffentlichungen an einem einzigen Tag
kommen. Das ist gar nicht mehr nachvollziehbar. Der Journalist
muss das dann wahrscheinlich sortieren und irgendwie zugänglich
machen, mir in aller Sachlichkeit und mit Kompetenz etwas
zuführen, sodass ich entscheiden kann, was ich damit anfangen
soll. Ich als End-User, der Musik konsumiert, kann ja gar nicht
alle Bands durchhören. Ich könnte natürlich hingehen und sagen,
ich höre mir das mal im Internet an oder höre mir mp3s an, aber
das ist einfach nicht meine Generation. Ich möchte ein Album
hören. Ich möchte eine Aussage von den Künstlern haben, ich
möchte wissen, was mir der Künstler sagen will, was das für
mich bewirkt. Aber dieses traditionelle Album-Hören macht heute
auch nicht mehr jeder. Man nimmt sich gar nicht mehr die Zeit.
Das ist eben auch wieder das Problem der Schnelllebigkeit.
.rcn: gerade Rockmusik hat aber immer noch
häufig Albumcharakter...
Holggy: Ja, das denke ich auch. In der
Rockmusik gibt es offensichtlich ein sehr treues Zielpublikum
für physische Datenträger. Diejenigen, die Rock lieben, kaufen
sich auch noch ein Album. Scheinbar ist es sogar so, dass die
Leute immer seltener mp3s hören, je härter der Rock wird.
Dieses Publikum kauft sich eher eine CD oder eine Platte. Unser
drittes Album, „Rockin’ The Pumpkin“, haben wir auch als
Schallplatte veröffentlicht. Wir haben 500 Stück hergestellt,
haben 300 verkaufen können und den Rest im Freundeskreis oder
bei den Musikern verteilt. Das kann man aber nicht bei jeder
Platte machen.
.rcn: Danke für das Gespräch! Bei Interviews
ist es natürlich wie bei Musik: Für das fertige Magazin oder
das fertige Album muss man natürlich einiges kürzen oder
herausnehmen. Aber da bietet das Internet eben den Vorteil, das
Interview nochmals komplett anzubieten...
Holggy: Ja, danke, hat mich sehr gefreut!
Abschließend möchte ich nur noch sagen, dass ich das Ganze in
der heutigen Zeit und nach den ganzen letzten Jahren mit
Beggar’s Bride ein bisschen so sehe wie ein Maler sein Bild
sieht. Ich gebe anderen eine Interpretationshilfe, aber jeder
kann in dem Bild etwas anderes sehen. Ich kann jederzeit ein
neues Bild malen und wieder von vorne anfangen. Ich kann sagen:
Okay, das mache ich jetzt so ähnlich, ich kann aber auch sagen:
Jetzt mache ich etwas völlig anderes. Es muss irgendwann einen
Abschluss geben, nicht, dass ich jahrelang an einem Album
herumexperimentiere. Bis ich ein Album fertig habe, inklusive
Songwriting, dauert es ungefähr ein Jahr. Das ist für mich eine
Momentaufnahme. Wenn das abgeschlossen ist, dann stehe ich zu
jedem Ton, den du darauf hörst. Egal wie gut, intensiv oder
unausgearbeitet der auch sein mag.
Interview: Ewald Funk, Bearbeitung: Jochen
Albrecht
NEUIGKEITEN/AKTUELLES EINZELANSICHT
BEGGAR'S BRIDE - DAS VOLLSTÄNDIGE INTERVIEW MIT HOLGGY
Das Preis-Leistungsverhältnis in der heutigen Rockmusik ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Oft bekommen wir Platten, die wurden nur als Mittel zum Zweck gemacht, um wieder auf Tour gehen zu können. HOLGGY BEGG bürstet da mit seinem Langzeit-Projekt BEGGAR’S BRIDE konsequent gegen den Strich. Genau genommen macht er das unvernünftigste, was man heute als Musiker machen kann: Aufwändig produzierte Konzeptalben, die live ihr Geld gar nicht einspielen können, weil sie mit Hilfe prominenter Gastmusiker sehr analog klingend aufgenommen wurden. Er vermischt Classic Rock mit Progressive, erzählt Geschichten mit rotem Faden, die nur als Gesamtwerk wirken und die Audio-Bandbreite ist so groß, dass man auf einer Tour mindestens zehn Musiker und einen Truck voller Instrumente bräuchte. Wer aber das leidenschaftliche Herzblut des 70er-Jahre Artrocks mag, wer sich zum Anhören von Platten auch mal extra dafür einen Abend Zeit mit einer Flasche Wein nimmt und wer im Plattenregal Sachen wie The Who, Wishbone Ash und die Konzeptalben von Pink Floyd oder etwas Krautrock stehen hat, ist mit Holggys neuestem Werk sehr gut bedient. Grob gesagt, das Burg Herzberg-Umfeld... Über eine Stunde erzählen auf dem aktuellen Album Holggy und sein langjähriger Weggefährte Michael Voss (kennt man aus der Melodicrockecke) zusammen mit Gastmusikern wie Mark Schulman von Foreigner, Don Airey von Purple oder Molly Duncan von der Average White Band die Geschichte eines alternden Rockstars, der nicht geschnallt hat, dass ihm unbemerkt Ruhm und Geld abhanden gekommen sind. Erst durch die Liebe zur Musik und einer Frau schwillt ihm die durch Dekadenz angefutterte Schwarte wieder zurück, so dass er langsam wieder Gefühle statt Taubheit erleben kann. Wir sprachen mit Holggy über das neue Album, Rockstarattitüden und guten wein und lassen es uns natürlich nicht nehmen, Euch das Interview in der Komplettversion nochmals nachzuschießen. Viel Spaß!